Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
verkrampfte sich schmerzhaft um den Hörer. Zunächst hielt er die Erscheinung für eine weitere Täuschung. Doch dann vernahm er ein leises Geräusch aus der Dunkelheit. »Wer … wer ist da?«, fragte er ins Halbdunkel. Er war so verstört, dass er nicht einmal daran dachte, nach seiner Dienstpistole zu greifen.
»Legen Sie auf«, befahl der Schatten mit schriller Stimme.
Es dauerte zwei Sekunden, bis Sven sie einordnen konnte. »Hofer, sind Sie das?«
»Sie sollen auflegen, sofort !«
»Machen Sie kein Licht«, wies der Schatten ihn ruhig an. »Es ist sehr wahrscheinlich, dass Ihre Wohnung beobachtet wird.«
Svens Hand glitt zögernd von dem Lichtschalter an der Wand. »Wie sind Sie hier reingekommen?«
»Sie sollten Ihre Terrassentür abschließen«, kam es zurück. »Für jemand, dessen Kollege gerade erst ermordet worden ist, sind Sie ziemlich leichtsinnig.«
Sven atmete tief durch. Einen entsetzlichen Augenblick lang hatte er genau dasselbe gedacht. »Mein Gott, was soll dieser Auftritt?«, fragte er wütend. »Sie haben mich zu Tode erschreckt!«
»Seien Sie lieber froh, dass ich es bin, sonst wären Sie jetzt tot«, erwiderte Hofer ungewohnt überlegen.
Sven stieß sich das Knie schmerzhaft an der Kante des Glastisches. Fluchend schloss er die Terrassentür und ließ die Rollläden herunter. Dann schaltete er die Stehlampe neben der Couch ein. Er betrachtete seinen Gast, dessen hagere Gestalt auf seiner Couch wie eine Dekoration wirkte. »Sie sind es also wirklich«, stellte er fest, als könne er es noch immer nicht glauben. »Ehrlich gesagt wundert es mich, dass Sie noch leben. Ich hatte schon fest damit gerechnet, Ihre Leiche irgendwo im Wald zu finden.«
Hofer sah ihn ausdruckslos an. »Nun, wie Sie sehen, bin ich äußerst lebendig. Und damit das so bleibt, brauche ich Ihre Hilfe.«
»Was Sie nicht sagen«, bemerkte Sven. »Sie machen fast zwei Wochen lang auf unsichtbar, dann brechen Sie in meine Wohnung ein und verlangen, dass ich Ihren Schutzengel spiele. Ihnen ist in den Tagen Ihrer Abwesenheit doch hoffentlich nicht entgangen, dass Sie mittlerweile die Schlüsselfigur in einer Mordserie sind.«
»Sie ahnen ja nicht, wie sehr mir das bewusst ist«, erwiderte Hofer todernst. »Und natürlich will ich Ihre Dienste nicht umsonst in Anspruch nehmen.«
»Verstehe«, knurrte Sven. »Ihre Aussage gegen Straffreiheit und Polizeischutz. Glauben Sie ja nicht, dass Sie so einfach da rauskommen.«
»Es geht nicht um meine Sicherheit«, entgegnete Hofer. »Ich denke dabei an meine Familie. Meine Frau und mein Sohn wussten nichts von alldem. Entsprechend groß war ihre Enttäuschung, als ich versucht habe, es ihnen zu erklären.«
»Sie täten gut daran, mir das Ganze auch zu erklären.«
Die Traurigkeit in Hofers Gesicht wich augenblicklicher Härte. »Alles zu seiner Zeit, Herr Kommissar. Zuerst will ich Ihre Zusage. Ich glaube zwar, dass meine Familie im Augenblick an einem sicheren Ort ist, trotzdem will ich, dass Sie im Falle meiner Aussage für ihre Sicherheit garantieren.«
»Warum haben Sie sich nicht gleich an uns gewandt? Das hätte Ihnen und uns eine Menge Ärger erspart.«
»Ich konnte niemandem trauen.«
»Und jetzt können Sie’s?«
»Glauben Sie, ich säße sonst hier? Es war ein ziemliches Risiko für mich hierherzukommen. Aber Sie sind im Moment einer der wenigen, zu denen ich noch so etwas wie Vertrauen habe. Obwohl ich zugeben muss, dass ich bei Ihrem Treffen mit Kilian meine Zweifel hatte.«
»Woher wissen Sie davon?«, fragte Sven erstaunt.
»Ich beobachte Sie schon seit ein paar Tagen.«
»Mich? Warum denn das?«
»Ich musste schließlich sichergehen.« Hofer schaute einige Sekunden lang zu Boden, bevor er Sven abermals ansah. »Die Integrität eines Menschen«, fuhr er fort, »kann man am besten auf die Probe stellen, indem man dem Betreffenden einen Köder hinwirft und abwartet, wie er darauf reagiert. Was ich in Ihrem Falle gesehen habe, hat mich überzeugt.«
Wieder trat Stille ein. Endlich erkannte Sven die entscheidende Verbindung. »Sie sind der anonyme Anrufer, nicht wahr?«, stellte er fest. »Sie haben mir die Probe zukommen lassen.«
Hofer nickte, ohne ihn anzusehen. »Ich muss gestehen, dass ich mir bei Ihnen eine Zeitlang nicht sicher war. Sie schienen mir für so eine Aufgabe ein bisschen, na ja, zu weich zu sein. Glücklicherweise habe ich mich geirrt.«
Dem konnte Sven nichts entgegensetzen. Immerhin kam diese Aussage von einem Mann, der
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