Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
Hastig knöpfte er sich den Kragen seines Hemdes auf, doch auch das half nicht. Die innere Unruhe wuchs, steigerte sich blitzartig zur Panik. Plötzlich war er schweißgebadet und musste sich an einem der Begrenzungspfosten abstützen. Er riss sich den Kragen noch weiter auf und schnappte nach Luft, als wäre er hundert Meter gesprintet. Sein Gesicht fühlte sich eiskalt an, und er glaubte zu spüren, wie die Farbe daraus wich. Einer der Touristen kam auf ihn zu, packte ihn an der Schulter und sah ihm besorgt in die Augen.
»Alles in Ordnung?«, fragte der ältere Mann, während er Sven stützte, der sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. »Brauchen Sie Hilfe?«
»Nein«, keuchte Sven, »es geht gleich wieder. Ich brauche nur einen Moment.«
Der Mann betrachtete ihn skeptisch. »Sind Sie sicher?«
»Ja, wirklich … Es geht schon wieder, danke.«
»Wie Sie meinen«, brummte der ältere Herr. »Sie sollten mehr trinken, bei dieser Hitze.«
»Mach ich«, versprach Sven. Kurz darauf sah er aus dem Augenwinkel, wie der Mann sich wieder in die Touristengruppe einreihte. Langsam rappelte Sven sich auf und schleppte sich zu seinem Dienstwagen. Das Zittern hatte nachgelassen, und während die Panikattacke allmählich verebbte und er sich verzweifelt fragte, ob dieser Alptraum jemals ein Ende nehmen würde, klingelte sein Handy.
29
K oschny saß im Redaktionsbüro, in dem die übliche Betriebsamkeit herrschte. Das unaufhörliche Klappern von Tastaturen und das hektische Gemurmel Dutzender Stimmen verliehen dem riesigen Raum die Atmosphäre einer überfüllten Schulaula. Müde Gesichter starrten verbissen auf Computerbildschirme. Über allem lag der Duft von schätzungsweise hundert Tassen Kaffee, und ständig klingelte irgendwo ein Telefon. Die wichtigste Verbindung zur Welt, die zu einem Dorf geworden war und in der Dinge wie Fax, Internet und Onlinekonferenzen die Hauptinformationsquellen bildeten.
Koschny saß an seinem Schreibtisch und rieb sich die Augen. Gerade als sich sein Blick erneut auf den Monitor vor ihm richtete, entdeckte er eine duftende Tasse Kaffee zu seiner Rechten.
»Schwarz mit Zucker, richtig?«, ließ sich eine freundliche Frauenstimme vernehmen.
Koschny schaute zu der Besitzerin der Stimme auf. »Danke, Moni. Bist wirklich ein Schatz.« Er lächelte müde. Monika Fries war zwei Jahre jünger als er und nicht übermäßig hübsch, aber Koschny schätzte sie sehr. Als Kollegin, vor allem aber als liebevollen Menschen.
»Ich dachte, du könntest vielleicht eine Tasse vertragen.« Ihr rundes Gesicht strahlte eine herzliche Wärme aus. »Du wirkst in letzter Zeit ein bisschen angespannt.«
»Ja«, seufzte Koschny, »da gibt es so einiges, was mich beschäftigt.« Er sah sie hoffnungsvoll an. »Du weißt nicht zufällig, wie man Ketchup aus einem Teppich rauskriegt, oder?«
»Nein, als Hausfrau tauge ich nicht allzu viel.«
»Ich könnte ihn umbringen, diesen …« Hastig trank er einen Schluck Kaffee. Die Umschreibungen für Sven, die ihm durch den Kopf gingen, hätten seiner Kollegin bestimmt die Röte in die Wangen getrieben.
»Vielleicht hätte ich dir lieber einen Baldriantee bringen sollen.« Sie kicherte, als Koschny sich den Mund verbrühte.
»Verdammt«, fluchte er. »Woher kommt das Zeug, direkt aus der Hölle?«
»Ist wohl heute nicht dein Tag, was?«
»Sagen wir, es war nicht meine Woche.«
»So schlimm?«
Er sah sie bedrückt an. »Auf einer Skala von eins bis zehn, wobei zehn für das Schlimmste steht, was du dir vorstellen kannst, würde ich die letzten Tage mit einer Elf bewerten.«
»Armer Kerl«, bemitleidete sie ihn. »Was hältst du davon, wenn ich dich zur Entschädigung zum Essen einlade? Dieser neue Grieche soll hervorragend sein.«
»Das wäre wirklich schön«, erwiderte er, »aber ich habe leider noch eine Menge zu tun.«
»Schade.« Monika Fries seufzte übertrieben enttäuscht, zweifellos um Koschny glauben zu machen, dass er sie durch diese Abfuhr schwer gekränkt hatte. »Woran arbeitest du denn, wenn man fragen darf?«
»Wenn ich das nur genau wüsste«, knurrte er. »Das Rätsel um das Turiner Grabtuch dürfte jedenfalls leichter zu klären sein.«
»Also, wenn’s nur halb so wichtig ist, wie es aussieht, musst du ja einem Knüller auf der Spur sein.«
»Wer hat dir denn den Floh ins Ohr gesetzt?«
»Na ja«, erwiderte sie, »du bist in letzter Zeit kaum noch in der Redaktion, und wenn man dich mal hier antrifft,
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