Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
hast du immer diesen verbissenen Gesichtsausdruck. Außerdem kriegt Köster jedes Mal diesen dringlichen Blick, wenn er dich sieht. Entweder du spielst mit dem Gedanken, deinen Job an den Nagel zu hängen, oder du steckst bis zum Hals in einer äußerst delikaten Story.«
Ralf Köster war der Chefredakteur der Zeitung, was ihre Schlussfolgerung ein wenig gestellt wirken ließ, da er immer so aussah, als würde er es nicht mehr rechtzeitig zur Toilette schaffen.
»Traust du mir das mit dem Job-an-den-Nagel-Hängen etwa nicht zu?«, fragte Koschny amüsiert.
»Nicht in diesem Leben«, antwortete sie lächelnd. »Dazu bist du viel zu versessen auf diese Arbeit – und viel zu unromantisch.«
»Wirklich bemerkenswert, Frau Kommissarin«, meinte er anerkennend. »Kaum zu glauben, dass sich so ein scharfer Verstand mit den Kulturseiten beschäftigt.«
»Tja, Genies werden meistens verkannt.« Sie hatte ein bezauberndes Lächeln. »Kann ich dir irgendwie helfen?«
»Nur wenn du gut im Puzzeln bist. Allerdings fehlen hier ein paar wichtige Teile.«
»Nein, lieber nicht«, winkte sie ab. »Das ist wohl eher dein Ressort. Ich halte mich lieber an die Kunst.«
»Interessiert dich denn gar nicht, worum es geht?«, fragte Koschny.
»Mich interessiert im Augenblick nur, wie ich meinen Hunger stillen kann.« Sie wandte sich zum Gehen. Nach ein paar Schritten blieb sie stehen. »Das Angebot gilt noch«, meinte sie, ohne sich umzudrehen. »Ich halte dir einen Platz frei, falls du’s dir doch noch anders überlegst.« Sie winkte und verschwand in Richtung Tür.
Koschny sah ihr nach, dann wandte er sich wieder dem Notizblock auf seinem Tisch zu und starrte nachdenklich auf den Namen, den er aus Hofers Adressbuch kopiert hatte. Professor Dr. Staude. Der Name kam ihm bekannt vor, aber er konnte ihn nicht zuordnen. Doch zu jedem Namen gehörte ein Gesicht und dazu wiederum eine Geschichte. Und die zu ermitteln war heutzutage nicht schwer.
Eilig tippte er auf ein paar Tasten, woraufhin sich sein Computer in die hauseigene Datenbank einwählte. Koschny gab den Namen in die Suchmaske ein und wählte einen Zeitraum von zwölf Monaten. Fehlanzeige. In keinem Beitrag seiner Zeitung war dieser Name in dem vorgegebenen Zeitraum aufgetaucht. Aber er war sicher, ihn irgendwo schon einmal gelesen zu haben. Also erweiterte er die Zeitspanne um weitere sechs Monate. Wieder nichts.
Enttäuscht ließ er sich in den Stuhl zurücksinken und spielte ganz kurz mit dem Gedanken, Monikas Einladung doch noch anzunehmen. Es wäre allemal erfreulicher, weiter mit ihr zu flirten, als seine Zeit mit nutzlosen Computerrecherchen zu vergeuden. Dann versuchte er es bei zwei weiteren Datenarchiven, mit demselben Ergebnis. Erst beim dritten wurde er fündig; es existierten zwei Einträge. Der eine war ein Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung , der in erster Linie die fachlichen Leistungen der Secours-Klinik hervorhob und in dem der Name Staude nur nebenbei erwähnt wurde. Der zweite Eintrag bezog sich auf einen Artikel in der Fachzeitschrift Medicus , der bereits einige Monate alt und dessen Inhalt wesentlich aufschlussreicher war. Darin war unter anderem ein Interview mit Staude abgedruckt, in dem er sich über Forschungsergebnisse im Bereich der Mikrobiologie äußerte und zu den neuesten Studien seiner Kollegen in der ganzen Welt Stellung nahm. Auch ein Schwarzweißfoto von ihm prangte rechts oben auf der Seite, ein ovales Gesicht mit dunklen Tränensäcken unter den Augen. Auf den ersten Blick schien sein Alter irgendwo zwischen sechzig und einhundert zu liegen. Doch Koschnys Interesse galt dem Text darunter.
Wenige Minuten später spuckte der Laserdrucker eine Seite nach der anderen aus. Koschny überflog die Informationen rasch noch einmal und markierte einige Stellen und Absätze mit Leuchtstift. Sehr schnell stellte sich heraus, dass er einen Volltreffer gelandet hatte. Zögernd wanderte sein Blick von den Papieren zu der Telefonnummer, die unter dem Namen Staude auf seinem Notizblock verzeichnet war.
Dann riss er energisch den Hörer seines Telefons an sich und begann zu wählen.
30
E ilig hastete Sven durch den Flur in Daums Büro. Dessen Anruf hatte sogar das Gespräch mit Kilian in den Hintergrund gedrängt, und Sven war sofort ins Präsidium zurückgekehrt. Außer Daum selbst, der vor einem übervollen Aktenschrank stand und ein paar Hängeordner in einer Schublade versenkte, war noch ein weiterer
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