Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
Prinzip des Gebens und Nehmens beschränkt sich nicht nur auf die Wirtschaft.«
Sven wusste nicht, was er mehr an diesem Mann verachtete. »Hier geht es nicht um irgendwelche politischen Ziele, nicht wahr?«, fragte er und wandte den Blick nicht von Kilians angespanntem Gesicht. »Was für eine Schweinerei Sie auch im Schilde führen, sie wäre bestimmt keinen Mord wert, und kein noch so edles Motiv könnte mich dazu bewegen, so etwas vertuschen zu helfen.«
»Niemand will etwas vertuschen. Der Schuldige sitzt hinter Gittern.«
»Vergessen Sie’s. Da mache ich nicht mit.«
»Ich wäre an Ihrer Stelle nicht so voreilig«, meinte Kilian beschwörend. »Sie sollten sich das gut überlegen, oder …«
»Oder was? Was könnte schlimmstenfalls passieren? Dass Sie und einige Ihrer Parteifreunde zurücktreten müssten und auf Kosten der Steuerzahler in den Vorruhestand geschickt würden?«
»Hier steht ein bisschen mehr auf dem Spiel. Vielleicht reicht es, wenn ich Ihnen sage, dass vielen Menschen dadurch geholfen werden kann.«
»Ihnen geht’s doch nur darum, Ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Und leider gelingt das Kerlen wie Ihnen auch meistens. Aber bestimmt nicht mit meiner Hilfe.«
»Ich hätte Sie für klüger gehalten.«
»Ich bin froh, Sie enttäuscht zu haben«, gab Sven wütend zurück.
»Jetzt hören Sie mir mal zu«, schlug nun auch Kilian einen schärferen Ton an. »Ich werde nicht zulassen, dass Sie dieses Projekt gefährden. Ich habe zu viel dafür riskiert.«
»Wollen Sie mir etwa drohen?«, fragte Sven. »So viel Macht haben Sie nicht.«
»Unterschätzen Sie mich nicht«, warnte Kilian. »Ich habe einflussreiche Freunde.«
»Ja, Typen wie Sie haben immer einflussreiche Freunde. Ohne die wäre es Ihnen wohl auch kaum gelungen, die Fahndung nach Hofer einstellen zu lassen. Trotzdem sind Sie nur ein Handlanger dieser Leute. Langsam will ich gar nicht mehr wissen, was für eine Schweinerei ihr da plant. Ich will nur, dass das aufhört, und ich will die drankriegen, die darin verwickelt sind, und sei es nur, damit ich Leuten wie Ihnen nicht mehr in die Augen sehen muss. Und jetzt nehmen Sie Ihr Angebot und Ihre Drohungen und verschwinden Sie, bevor ich Sie wegen versuchter Bestechung verhaften lasse. Das dürfte Ihrer Karriere nicht sonderlich bekommen.« Er trat einen Schritt auf Kilian zu. »Und noch etwas: Sollte ich herausbekommen, dass Sie irgendetwas mit dem Tod meines Kollegen zu tun haben, dann dürfte Ihre Karriere das Letzte sein, worüber Sie sich Sorgen machen müssen, haben wir uns verstanden?«
Kilians Blick wurde noch finsterer. »Das werden Sie noch bereuen, Herr Kommissar.«
»Kann ich mir nicht vorstellen«, gab Sven zurück.
Wutentbrannt wandte Kilian sich ab und stampfte davon. Sven sah, wie er zwischen den Touristen verschwand. Nur langsam beruhigte er sich und erfasste allmählich, was in den letzten zehn Minuten passiert war. Er hatte dem Stellvertreter des Oberbürgermeisters von Koblenz gedroht, ihn hinter Gitter zu bringen. Sicher, das allein hätte ihm keinerlei Gewissensbisse beschert. Einen Politiker bedroht zu haben, damit konnte er leben, zumal die gesellschaftliche Stellung eines Menschen ihn nie sonderlich beeindruckt hatte. Doch da waren die Augen dieses Mannes gewesen. Er hatte eine Menge Schuld in diesen Augen gesehen. Aber auch Verzweiflung. Und ihm war klar, dass ein Mann in Kilians Position alles tun würde, um diese Schuld zu vertuschen. Auch das hatten diese Augen verraten. Doch wo war der Zusammenhang? Wo war das fehlende Bindeglied? Es gab keinerlei Beweise, nicht einmal einen begründbaren Verdacht, um die Vorgänge der letzten Wochen mit Kilian in Verbindung zu bringen. Nur die inoffizielle Aussage des zweitmächtigsten Mannes der Stadt, der über Umwege zugegeben hatte, in einen Skandal verwickelt zu sein, welcher vermutlich fünf Menschen das Leben gekostet hatte, und der durch seinen Einfluss am längeren Hebel saß. Vielleicht wäre er gut beraten gewesen, Kilians Angebot anzunehmen, und sei es nur, um ihn ruhigzustellen. Immerhin hatte er es mit Leuten zu tun, die sich Glaubwürdigkeit erkauften und einen tadellosen Lebenslauf in ein ausgedehntes Strafregister verwandeln konnten. Er würde sich beeilen müssen, bevor in seiner Wohnung ein Päckchen Kokain gefunden wurde oder Schlimmeres geschah.
Sven spürte, wie seine Pulsfrequenz jäh in die Höhe schoss, und atmete tief durch, dennoch hatte er mehr und mehr das Gefühl zu ersticken.
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