Stern der Göttin
Licht ihn blendete und sogar zu durchbohren schien.
Einen anderen Magier hätte Khaton sofort mit aller Macht bekämpft, selbst wenn es ein Mann seiner eigenen Farbe gewesen wäre. Doch eine Person, der es gelang, seinen Abwehrschirm ohne erkennbare Mühen zu durchdringen, war ein Gegner, den er ernst nehmen musste. Er versuchte, seine Besucherin magisch abzutasten, aber seine Sinne glitten an ihr ab wie feuchte Hände an einem schlüpfrigen Fels. Er nahm nur die weißmagische Farbe ihres Amuletts wahr.
Sollte es sich vielleicht um eine der Hohen Damen Meandirs handeln, die heimlich in die Dämmerlande gekommen war, um mit ihm Kontakt aufzunehmen? Dafür sprach, dass sein Gegenüber eine Eirun war, eines jener unsterblichen Wesen, die von den Menschen die Kinder der Götter genannt wurden. Angehörige dieses Volkes waren, besonders wenn sie weit aus dem Westen stammten, auch heute noch mit ungeheurer Macht ausgestattet und nicht weniger von sich überzeugt als die hohen Herren in den Reichen, die von den Dämonen des Ostens selbst beherrscht wurden.
Aus diesem Grund zwang er sich zur Ruhe und deutete eine Verbeugung an. »Seid willkommen in meinem bescheidenen Heim.«
»Eine wahrlich bescheidene Behausung für den, den Meandir zu seinem Wächter in den Dämmerlanden ernannt hat.« In ihrer Stimme schwang Verachtung mit.
»Verzeiht, Hohe, wenn ich Euch nicht so empfangen kann, wie es Euch zukommt. Das Amt eines Evari bedingt jedoch kein prunkvolles Auftreten, sondern Aufmerksamkeit und meist heimliches Beobachten.« Noch während er es sagte, fand Khaton, dass seine Entschuldigung eher matt klang.
Seine Besucherin stieß ein helles, aber angenehm klingendes Lachen aus. Dabei erlosch das ihn blendende Licht ihrer Augen, und er sah nun, dass sie golden leuchteten. Eine Hohe Dame Meandirs war seine Besucherin demnach nicht, denn deren Augen schimmerten silbergrau. Nein, vor ihm saß tatsächlich eine goldene Eirun.
Verwirrt schüttelte er den Kopf. Schon lange vor dem Friedensschluss der sechs Götter war keine der Goldenen mehr so weit im Osten gewesen. Eine von ihnen hier in seiner bescheidenen Bibliothek zu sehen, erschütterte ihn und machte ihm gleichzeitig Angst.
»Darf ich erfahren, was Ihr von mir wünscht, Erhabene?«, fragte er vorsichtig.
»Zunächst könntet Ihr mir eine Erfrischung anbieten, Khaton«, antwortete sie freundlich.
»Sofort!« Khaton war so nervös, dass er eigenhändig den Weinkrug ergriff und ihr einen Becher einschenkte, anstatt es magisch zu veranlassen.
Bevor sie trank, schlug die Fremde ihre Kapuze zurück, und er konnte ein schmales Gesicht mit hohen Wangenknochen erkennen, das von diesen beeindruckenden goldenen Augen beherrscht wurde. Ihre ebenfalls goldenen Haare hatte sie zu dünnen Zöpfen geflochten, die ihr Haupt wie ein Helm umhüllten. Die Frisur betonte die langen, spitz auslaufenden Ohren, das charakteristische Kennzeichen einer reinrassigen Eirun.
Khatons Unruhe wuchs. Den Besuch eines Magiers aus dem engeren Gefolge seines Herrn Meandir hätte er sich noch halbwegs erklären können, doch eine Botin der uralten Göttin Irisea, die sich aus allen Kriegen der Götter und Dämonen herausgehalten hatte und hier in den Dämmerlanden nur noch in Sagen existierte, war ein Rätsel, welches er rasch gelöst sehen wollte. Er schenkte sich selbst ein, trank den Becher in einem Zug leer und sah die Eirun auffordernd an. »Ihr seid gewiss nicht so weit nach Osten gekommen, um mit mir thilischen Wein zu trinken, Erhabene!«
»Das bin ich fürwahr nicht!« Sie lächelte sanft und stellte ihren Becher weg. Khaton besann sich auf seine Gastgeberpflichten und füllte ihn erneut. Als er ihr das Gefäß jedoch reichen wollte, hob sie abwehrend die Hand.
»Ihr schätzt den Thilierwein mehr als ich, obwohl ich zugeben muss, dass er durchaus mundet. Doch wie Ihr selbst gesagt habt, bin ich nicht gekommen, um zu trinken, sondern um mit Euch zu sprechen, Evari der weißen Farbe!«
Wie es aussah, war man weit im Westen nicht mit ihm zufrieden, dachte Khaton und wunderte sich, dass man sich im Goldenen Land, welches noch hinter den Ländern der Götter lag und von den Menschen ebenfalls für eine Legende gehalten wurde, für ihn und die Vorgänge in den Dämmerlanden interessierte.
Die Besucherin spürte, wie ihr Gastgeber sich innerlich wand, und setzte nach. » SIE ist unzufrieden mit der Art, in der du dein Amt ausübst, Khaton. Du bist der Evari und hast über den Frieden zu wachen.
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