Stern der Göttin
sich zunächst beherzter angehört hatte, wirkte auf einmal ganz verzagt.
Sein Kamerad legte ihm den Arm um die Schulter. »Bruder, wärst du bereit, eine Waffe in die Hand zu nehmen, um der gerechten Sache zum Sieg zu verhelfen und Schaden von unseren Familien abzuwenden? Ich für meinen Teil wäre es. Ich mag zwar kein guter Soldat sein, aber ich bin bereit, mein Leben für den Prinzen zu geben, sobald dieser uns zu den Waffen ruft.«
»Ich auch!«, erklärte sein Freund. Dann trennten sie sich, und jeder ging zu seinem Feld.
Laisa sah ihnen bei der Arbeit zu und überlegte. Wie es aussah, bedurfte es wirklich nur eines Funkens, um den im Land herrschenden Unmut zur Flamme offenen Aufruhrs anzufachen. Beim Anblick der beiden mageren Bauern, die zwar zäh waren, aber eben nicht im Kampf geübt, dachte sie an die Opfer, die ein solcher Aufstand kosten würde. Außerdem hatte Borlon recht. Der Kampf gegen den Usurpator benötigte einen von allen anerkannten Anführer, und den hatten sie nicht. Also musste sie Waihe und seine Anhänger auf eine andere Weise entmachten.
☀ ☀ ☀
In den nächsten zwei Tagen stattete Laisa den größeren Ortschaften in dieser Provinz und etlichen darüber hinaus einen Besuch ab und freute sich über den Erfolg, den ihre Flugschriften zeigten. Nun ging es wie ein Lauffeuer durch das Land, dass Waihe den wahren Erben mit Gewalt an der Besteigung des Thrones hindern wollte und der Prinz vor ihm geflohen war. Es gelang Laisa noch zweimal, in Amtsstuben einzubrechen und neue Flugblätter anzufertigen, in denen sie ihr wachsendes Wissen über das Volk von Tanfun mit einfügen konnte. Sie beschwor Taliens Fluch auf Waihe, ohne von dem gelben Gott viel mehr als den Namen zu kennen, und berief sich auf den makellosen Stammbaum Punjis, während sie gleichzeitig dessen Feind als widernatürliches Geschöpf brandmarkte, welches selbst mit Dämonen der anderen Seite paktieren würde, um den Thron an sich zu bringen.
Sosehr sie sich über ihre Erfolge auch freute, so bedauerte sie, dass es ihretwegen vielerorts willkürliche Verhaftungen gab. Waihes Kreaturen nahmen alle Leute gefangen, die als mögliche Anhänger Punjis galten oder als solche denunziert wurden. Da sich darunter auch viele Priester befanden, verunsicherten diese Verhaftungen die Bevölkerung noch mehr. Schon jetzt mussten Truppen die wichtigsten Städte und Dörfer besetzen, um die Handelswege im Reich zu sichern. Die Verhaftungen gingen jedoch ins Leere, denn obwohl Hubai und andere Provinzgouverneure die Gefangenen scharfen Verhören aussetzten, konnte niemand sagen, von wem die Flugblätter stammten und wer sie angebracht hatte.
Während Laisa in Tanfun für Aufruhr sorgte, kannte Khaton, der weiße Evari, keine Verwünschung mehr, die seiner Lage gerecht werden konnte. Unter Salavars Zauber war sein Körper zu Stein erstarrt und glich nun einer Statue. Sein Geist litt ebenfalls unter dieser Starre, und so verfügte er nur noch über einen Bruchteil seiner Kräfte. Mit diesen kämpfte er gegen die Lähmung an, die ihn in völlige Bewusstlosigkeit hüllen wollte.
Wenn er diesem Druck erlag, war er endgültig verloren. Es ging nicht allein um sein Schicksal, sondern um das der gesamten Welt. Am meisten quälte ihn der Gedanke an den Auftrag, den die goldene Dame ihm erteilt hatte, denn der Stern der Irisea durfte niemals in die Hände kriegslüsterner Magier des Schwarzen Landes fallen.
Khaton wusste genau, dass er in seinem jetzigen Zustand nicht einmal mehr ein Kind daran hindern konnte, eine Pflaume vom Baum zu pflücken. Noch weniger vermochte er einem so mächtigen Magier wie Tharon Iriseas Artefakt abzujagen. Aber die Goldene hatte versprochen, ihm eine Helferin zu schicken. Wenn diese Frau in der Lage war, das gewiss exzellent gesicherte Versteck des Sterns der Göttin zu finden und mit dem Artefakt aus Tharons Turm zurückzukehren, sollte sie auch fähig sein, einen Narren von Magier zu finden, der sich wie ein Dummkopf hatte überlisten lassen. Wenn diese Begebenheit ans Tageslicht kam, würde ihn niemand mehr ernst nehmen, am wenigsten die Könige und Fürsten der weißen Reiche.
Um Iriseas Auftrag zu erfüllen, war er jedoch bereit, notfalls als größter Trottel der goldenen Seite des Großen Stromes dazustehen. Daher unternahm er einen letzten Versuch zu seiner Rettung und rang seinen müden Gedanken einen schwachen Zauber ab. Es war nicht mehr als ein Hilferuf, den nur Magier der eigenen Seite als solchen
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