Stern der Göttin
wurde, um Nachrichten über ähnliche Türme bis in die Hauptstadt des Reiches zu leiten.
Laisa war zwar noch nie an diesem Ort gewesen, aber sie brauchte weder einen Führer noch einen Lageplan, um sich zurechtzufinden. Sie schnupperte, nahm den Geruch auf, den Hubai verströmte, und näherte sich vorsichtig den Wohnräumen des Mannes. Ein offenes Fenster erleichterte ihr das Betreten des kleinen Zimmers, das als Bibliothek und Schreibzimmer eingerichtet war. Ursprünglich hatte Laisa geplant, den Gouverneur zu fangen und zu entführen, um die Nordprovinz ihres Anführers zu berauben, aber als sie einen Stapel Papier und bereitliegende Stifte auf Hubais Schreibtisch sah, hatte sie einen besseren Einfall.
Während Hubai nur zwei Türen weiter seinen letzten Schluck Wein trank und sich dann zur Ruhe begab, umklammerten Laisas Stummelfinger einen der Stifte und malten ein Schriftzeichen nach dem anderen. Es ging erstaunlich schnell, und sie war nun froh, Lesen und Schreiben gelernt zu haben. Auch erleichterte es sie, dass sich das Erlernte nur unwesentlich von den hier gebräuchlichen Schriftzeichen unterschied. Sie musste nicht einmal eine Kerze anzünden, um schreiben zu können, denn für ihre scharfen Augen reichte das Licht der vier inzwischen aufgegangenen Monde vollkommen aus.
Während Laisa Aufrufe zum Widerstand und Schmähschriften gegen den Thronräuber verfasste, vernahm sie draußen ein Geräusch und huschte mit den beschriebenen Blättern lautlos hinter die sich öffnende Tür. Ein Bediensteter hielt eine Laterne herein, sah das offene Fenster und schloss es mit einem ärgerlichen Laut. Als er sich umdrehte, hätte er Laisa für einen Augenblick im Schein der Laterne sehen können, doch er richtete sein Augenmerk auf die von ihr zurückgelassenen Schreibutensilien, die wirr auf dem Tisch herumlagen, und ordnete sie grummelnd. Dann verschwand er durch die Tür und schloss von außen ab.
Laisa begann, das Abenteuer Spaß zu machen. Rasch kehrte sie an den Tisch zurück und machte dort weiter, wo sie aufgehört hatte. Sie beschrieb den gesamten Stapel Papier und steckte die Blätter in eine Umhängetasche, die durch einen gütigen Zufall an einem Haken hing. Ein Blick traf den Schreibtisch, auf dem die Stifte erneut chaotisch herumlagen. Sie widerstand dem Impuls, sie zu ordnen, denn die Tanfuner würden allein schon durch den stark geschwundenen Vorrat an Schreibpapier erkennen, dass jemand im Raum gewesen war.
Vor Vergnügen kichernd öffnete sie das Fenster, horchte und schnupperte kurz, ob die Luft rein war, und schlüpfte hinaus. Bevor sie die Festung verließ, heftete sie das erste Exemplar ihrer Brandschrift mit kleinen Holzstöckchen an die Mauer des Amtsgebäudes und verschwand dann so ungesehen, wie sie gekommen war.
In derselben Nacht suchte sie die Stadt sowie einige kleinere Dörfer in der Umgebung auf. Dann erst kehrte sie zu ihrem Aussichtsbaum zurück, um zu schlafen.
Viel Ruhe war ihr nicht vergönnt, denn sie erwachte, als sich zwei Bauern auf einem unweit gelegenen Feld sehr ausführlich über die von unbekannter Hand angebrachten Pamphlete unterhielten. Beide sahen sich dabei immer wieder sorgfältig um, so als hätten sie Angst, bei ihrem Gespräch belauscht zu werden.
»Wenn das stimmt, was wir gelesen haben, wäre dies schrecklich. Taliens Zorn würde über unser Land kommen!«, erklärte einer der Männer verstört.
Der andere packte ihn an der Schulter und schüttelte ihn. »Warum sollte es nicht stimmen? Wer hätte Interesse daran, solche Anschläge zu verteilen, wenn nicht der Prinz selbst? Ich habe Hubai schon gestern nicht geglaubt, als er von Punjis freiwilligem Thronverzicht gesprochen hat. Der Prinz mag noch ein Knabe sein, aber er wurde zum Thronerben erzogen.«
Er schien seinen Gefährten überzeugt zu haben, denn dieser spuckte nun vor Empörung aus. »Verfluchtes Militär! Nur weil sie ein paar Flusspiraten aus den Sümpfen vertrieben haben, glauben sie, sie könnten sich alles erlauben.«
»Punji ist der rechtmäßige Erbe! Nur wenn die Hohe Priesterschaft des Reiches und der gelbe Heilige Synod in Edessin Dareh ihn für unfähig erachten würden, könnte Waihe darauf hoffen, die Krone zu erhalten. Doch er will sie sich nehmen wie ein Räuber das Gut eines Reisenden. Wenn Waihe an der Macht bleibt, wird Talien sein Antlitz von unserem Land abwenden, und wir werden wie verlorene Kinder sein, die keinen Vater und keine Mutter mehr kennen.« Der zweite Mann, der
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