Stern der Göttin
die Stute unterwegs in die Tiefe gestürzt wäre, stände sie jetzt ohne all die magischen Dinge da, die nach Khatons Ansicht notwendig waren, um gefahrlos in Tharons Turm eindringen zu können.
Um nicht doch noch durch ihre eigene Unachtsamkeit in Schwierigkeiten zu kommen, nahm Laisa alle Beutel, die magische Gerätschaften enthielten, aus der Satteltasche und hing sie sich um. Einige davon setzte sie sofort ein, wie den Schutz gegen die verzauberten Pflanzen, die ihnen Khatons Auskunft nach rasch den Garaus machen konnten. Obwohl sie sich sofort sicherer fühlte, wunderte sie sich, dass ihnen bis jetzt noch nichts geschehen war.
»Da vorne sind mehrere Bauwerke. Aber einen Turm sehe ich nicht!« Rongis Stimme klang enttäuscht, als er auf sechs schwarze Gebäude zeigte, die die Spitzen eines großen Sechsecks bildeten. Jedes davon besaß ebenfalls sechs Ecken, aber keine Fenster oder Türen.
Borlon und Ysobel sahen Laisa im ersten Augenblick fragend an, und diese erinnerte sie an Khatons Bericht über den Turm seines Gegners. Normalerweise war ein Magierturm tief in die Erde hineingebaut und ragte nur mit den obersten Stockwerken darüber hinaus. Tharons Turm war hingegen völlig unterirdisch angelegt und wurde von sechs turmartigen Gebäuden umgeben, von denen aus man durch Stollen zum eigentlichen Magierturm kam. Laisa schüttelte ein wenig den Kopf, wie man etwas, das völlig unter der Erde lag, Turm nennen konnte, doch war dies nun einmal die Bezeichnung für die Behausung eines Magiers. Mehr Sorgen bereitete Laisa jedoch die Tatsache, dass jeder Magier seinen Turm mit allerlei Fallen und Zaubern gegen unbefugte Eindringlinge sicherte. Bei Tharon war dies nicht anders. Sein unterirdisches Reich konnte nur durch eines der sichtbaren Bauwerke betreten werden. Es war jedoch wichtig, genau den richtigen Eingang zu wählen, sonst fand man sich rasch als Gefangener des Wächtergeistes wieder, wie Khaton ihr erklärt hatte.
»Wir müssen die Pferde zurücklassen!« Laisa sah sich nach einem geeigneten Ort um, doch in der Nähe des Turmes gab es zu viele magische Pflanzen, die den Tieren gefährlich werden konnten.
»Rongi, glaubst du, du kannst die Pferde bis zu dem Grasfleck zurückführen, an dem wir vorhin vorbeigekommen sind? Zäume sie aber ab, damit sie zur Not auch allein durchkommen können.« An die Möglichkeit des Scheiterns wollte Laisa eigentlich nicht denken, aber es konnte einige Zeit dauern, bis sie den Wächtergeist des Magierturmes überlistet hatten.
Der Katling ergriff die Zügel, schnellte auf Ysobels Wallach und ritt los.
Borlon entblößte ärgerlich die Zähne. »Bis jetzt haben wir alle Vorsicht walten lassen, doch ausgerechnet jetzt muss Rongi zeigen, wie gut er reiten kann. Ich hätte den Burschen für vernünftiger gehalten.«
»Ich dich aber auch. Es ist doch zu sehen, dass Laisas Artefakte wirken«, wies Ysobel ihn zurecht.
»Sie wirken mir etwas zu gut«, murmelte Laisa.
Ihre Freundin tat diesen Einwand mit einer lässigen Handbewegung ab. »Khaton ist nun einmal der weiße Evari und damit einer der größten Magier unserer Zeit. Er dürfte seinen schwarzen Widerpart genau studiert haben und hätte uns gewiss nicht geschickt, wenn es so schwer wäre, Tharons Turm auszuräumen.«
Diese Überzeugung teilte Laisa nicht, denn sie hatte Khatons Verzweiflung gespürt. Wäre es ihm möglich gewesen, hätte er sich selbst auf den Weg gemacht, um den Stern der Göttin zurückzugewinnen. Doch ihre Mission war die einzige Chance, den Wächtergeist des Turmes zu überraschen und auszuschalten.
Als sie näher kamen, dachte Laisa an all die Warnungen, die Khaton ihr mit auf den Weg gegeben hatte. Bislang hatten sich seine Befürchtungen noch nicht bewahrheitet, trotzdem hing ihr der Magen wie ein kalter Klumpen im Bauch.
Laisa blieb vor der schwarzen Aura stehen, die die sechs Gebäude umgab. »Wir warten auf Rongi. Ab hier müssen wir dicht zusammenbleiben.«
Noch während Laisa dies sagte, warf Borlon einen ängstlichen Blick auf das nächstgelegene Gebäude. Ihm schauderte es allein schon bei dem Gedanken, dem Ding noch näher kommen zu müssen. Es zu betreten, erschien ihm wie ein sicheres Todesurteil. »Vielleicht sollten wir nicht alle zugleich hineingehen. Ich schlage vor, dass einer draußen bleibt für den Fall, dass die übrigen Hilfe brauchen.« Borlon schämte sich für seine Worte, doch in diesem Moment führten seine Gedanken und sein Mund ihr eigenes Leben.
Ysobel
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