Stern der Rebellen
Insgesamt war das Messer 22 Zentimeter lang und nur zweieinhalb Zentimeter dick.
Womöglich hielt Sten die tödlichste Klinge in Händen, die je hergestellt worden war. Die Kristalle fügten sich zu einer haarfeinen, nur fünfzehn Moleküle breiten Schneide, die so scharf war, dass sie allein mit dem Eigengewicht der Klinge einen Diamanten zu zerschneiden vermochte.
Sten verstaute das Messer in einer leeren Materialbox an seinem Anzug. Die Scheide dafür lag schon bereit.
Hite hatte das für ihn erledigt.
Er und Sten hatten sich in einem ungenutzten Areal mit normalen Umweltbedingungen versteckt. Er hatte Sten mit einem Betäubungsmittel in Vollnarkose versetzt und sich dann an die komplizierte Arbeit gemacht.
Die Scheide war in der Innenseite von Stens Unterarm verborgen. Mit aus der Mikrochirurgie organisierten Instrumenten hatte Hite einen Abschnitt von Stens Haut abgelöst und zurückgeklappt. Dann hatte er direkt auf das Unterhautgewebe eine Schicht lebender Plasthaut aufgetragen und die gehärtete U-Form, die Sten bereits gefertigt hatte, dorthinein verschweißt. Dadurch würde die Messerklinge nichts mehr berühren – nicht einmal die U-Form.
Ein Handgelenksmuskel wurde über den Eingang der Scheide verlegt, damit das Messer nicht verrutschte. Dann setzte Hite die echten Hautschichten über den chirurgischen Veränderungen zurück an ihren alten Platz und schweißte Sten wieder zusammen.
Es dauerte mehrere Zyklen, bis alles verheilt war. Doch Hite war zufrieden, als er sah, dass die Plasthaut nicht abgestoßen wurde und sich die Haut über der Scheide wieder zu regenerieren begann.
Der Schichtsummer in Stens Anzug quäkte los. Sten schaltete die Fräse ab und begab sich zur Schleuse.
Niemand wusste genau, was Hite seinen Aufenthalt in der Exotischen verschafft hatte. Es war bekannt, dass er einmal Arzt auf einer Pionierwelt gewesen war. Es war bekannt, dass er aus unbekannten Gründen einen Kontrakt als Tech auf Vulcan unterzeichnet hatte. Offensichtlich hatte er einen unglaublichen Fehler begangen.
Hite erzählte niemandem – nicht einmal Sten –, was er verbrochen hatte.
Er war nicht nur der einzige Arzt, der den Migs zur Verfügung stand, er war auch schon seit mehreren Jahren in der Exotiksektion.
Außerdem war er der einzige Freund, den Sten jemals hatte. »Sten, mein junge, du lachst einfach zu wenig, das ist dein Problem.«
»Lachen? Ich schmore hier im Arsch von Vulcan. Alle wollen mich umbringen, was ihnen zweifellos irgendwann gelingen wird – und du willst, dass ich lache?«
»Aber sicher, Junge. Gibt es denn etwas Komischeres als das alles hier?«
»Den Witz verstehe ich nicht.«
Hite beugte sich zu ihm. »Weil dich die Götter hassen. Ganz persönlich.«
Sten dachte nach. Dann lächelte er zögernd – und fing an zu lachen.
»Das ist dein zweites Problem, Junge: du lachst zuviel.«
»Hä?«
»Was gibt es dabei zu lachen? Du steckst im Arsch von Vulcan und alle wollen dich umbringen. An deiner Stelle würde mich das ziemlich nervös machen.«
Sten starrte ihn an. Dann schüttelte er den Kopf und jaulte laut auf.
Sten stand in der Schichtkammer, ließ unter Hochdruck Desinfektionsmittel in seinen Anzug strömen und verschloss ihn wieder. Er wartete. Kein Leck zeigte sich. Sten warf das Desinfektionsmittel in den Recycler und hängte den Anzug an den Haken.
In der Exotiksektion benutzte man gebrauchte, von den Techs abgelegte Anzüge. Lecks waren nicht gerade selten. Innerhalb der Areale blieb nicht genug Zeit, sie zu flicken. Sten gähnte und schlenderte durch die Baracken zu seiner Unterkunft.
Das Messer ruhte verborgen in Stens Arm. Seine offene Hand hielt es griffbereit in Position. Er konnte es kaum erwarten, es Hite zu zeigen.
In den Baracken roch es wie in der Pinte . Hier war immer wieder angebaut worden. Nirgendwo gab es eine Soziopatrouille. Ein paar Schlägertypen durchsuchten die schäbigen Habseligkeiten eines jungen Mannes, der in einer Blutlache auf dem Boden lag. Einer von ihnen grinste Sten an. »Heute ist Frischfleisch angekommen.«
Sten zuckte mit der Schulter und ging weiter. Der Ethanol-Stand war wie immer dicht umlagert. Vor seiner Koje blieb er stehen. Die weibliche Mig, die in der Koje über ihm wohnte, hatte Stens Zudecke als notdürftigen Vorhang benutzt. Von der anderen Seite ertönte zweistimmiges Grunzen.
Sten machte sich auf den Weg zu Hites Behausung. Der alte Mann war krank gewesen, und Sten hoffte, dass er wieder einigermaßen
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