Stern der Rebellen
stehen. Sie hielt sich dicht an der Wand und kroch darauf zu.
Die Stimmen setzten wieder ein. Eine war hoch und klang so, als gehörte sie einem sehr kleinen Kind. »Ich war heute sehr brav, stimmt’s, Papi? Ich habe das große Passagierschiff ganz alleine angedockt. Das ist doch prima, oder?«
Eine zweite, tiefere Stimme ertönte. »Aber ja doch, Tommie. Du kannst am besten von allen manövrieren. Ich habe es dem Doktor erzählt, und er hat versprochen, dass du eine Belohnung dafür bekommst.«
»Bonbons. Darf ich Bonbons haben? Ich mag Pfefferminz, das weißt du doch, Papi, oder? Du bringst mir doch Pfefferminz, ja, Papi?«
»Mal sehen, mein Sohn. Mal sehen.«
Bet spähte um die Ecke der Tür. Fast hätte sie laut aufgeschrien. In einem Rollstuhl saß der ausgemergelte Körper eines Mannes. Mit seinem großen Kopf, der auf einem dürren Halsstängel balancierte, sah er fast wie ihre Puppe aus. In seiner Reichweite lagen mehrere elektronische Hilfsmittel. Der Mann hatte das haarlose, irgendwie vergrößerte Gesicht eines kleinen Jungen. Die hohe Stimme kam zwischen seinen Lippen hervor. »Heute hab ich ein paar Migs gesehen, von denen du mir schon erzählt hast, Papi. Ich bin froh, dass die Company mich nicht so wie die aufwachsen lässt. Sie müssen selbst gehen, und sie stinken. Sie werden niemals erfahren, was es bedeutet, so wie ich zu sein. An einem Tag bin ich ein riesiger Kran, und am nächsten sitze ich an den Kontrollen eines Robotschiffs. Hier sind alle so nett zu mir.«
»Natürlich ist die Company nett zu dir, Tommie«, sagte die zweite Stimme. Sie kam von einem normalwüchsigen Mann im weißen Kittel eines Labortechs. »Deshalb lassen wir dich in die Krippe, und deshalb helfen wir dir auch. Wir lieben dich.«
»Und ich liebe dich. Du bist der beste Papi, den ich jemals hatte.«
Bet zog die Tür geräuschlos zu, wandte sich um und eilte den Korridor entlang auf den Ausgang zu. Sie wusste nicht, wohin, doch sie rannte immer weiter, bis sie außer Atem war. Sie befand sich in einem staubigen, schon lange nicht mehr benutzten Gang. Bet kauerte sich an die Wand und ließ ihren Tränen freien Lauf, hielt jedoch inne, als sie bemerkte, dass das Abdeckgitter des Lüftungsschachts auf Bodenhöhe zerbrochen war. Sie zog daran und riss die Platte ganz los. Dann kroch sie in die Aussparung dahinter und rollte sich zusammen. Nach und nach ließ ihr Schluchzen nach und sie schlief ein.
Als sie erwachte, blickte das halbtote, freundliche Gesicht Orons auf sie herab.
Der hagere Delinq spähte um die Ecke des Schachts und winkte dann nach hinten. Sechs andere Mitglieder der Bande ließen sich leise in den leeren Einkaufskorridor hinab.
Ein kaum hörbarer Pfiff ertönte; der Delinq schaute nach oben zurück. Sten lehnte sich aus dem Schacht heraus und zeigte in Richtung des Ladens, auf den sie es abgesehen hatten. Der Delinq duckte sich in den Schatten und bewegte sich langsam darauf zu.
Sten zog den Kopf zurück und sicherte nach hinten ab.
Jetzt war er schon fast neun Monate bei Orons Gruppe. Oron hatte ihn gut geschult, und Sten war rasch zu einem Jäger seines Vertrauens aufgestiegen und durfte inzwischen eigene Raubzüge planen und anführen. Er war stolz darauf, dass er bei seinen Raubzügen noch keinen einzigen Mann verloren hatte, und dass seine Delinqs immer mit vollen Händen zurückkamen.
Insgeheim wusste er jedoch, dass ein solches Glück nicht ewig anhalten konnte. Früher oder später mussten die Delinqs in eine Säuberungsaktion geraten und aufgerieben werden. So lief das Leben hier unten. Einmal, auf einem Erkundungsgang, hatte er die Ergebnisse einer solchen Aktion gesehen. Die Soziopatrouille hatte es nicht einmal für nötig befunden, die Leichen wegzuschaffen. Obwohl ihre Überreste schon schwarz und halb skelettiert waren, konnte Sten deutlich erkennen, dass einige der Delinqs nicht schnell gestorben waren. Besonders die Mädchen nicht.
Er dachte an Bet. Trotz seiner Freundschaft zu Oron war sie noch immer der einzige Grund, weshalb er bei der Gruppe blieb. Sten liebte sie. Allerdings traute er sich nicht, ihr das zu sagen. Sie war … Sie war … Er riss sich aus seiner kurzen Träumerei und hielt wieder aufmerksam Wache.
Die Delinqs hatten den Laden erreicht. Kleine Schneidbrenner flammten auf, und die Gitter gaben nach. Rabet, der hagere Delinq, drehte seinen Brenner um und schlug die Scheibe ein. Die Delinqs eilten herbei und stopften die Schaufensterauslage in ihre
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