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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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weitverbreiteten Typus seinerzeit faschistisch.«
    »Was bedeutet dieses Wort, Seigneur?«
    »Faschisten, liebes Kind, das waren Parteimänner, welche die
alte
Weltordnung dadurch zerstörten, daß sie sie verteidigten. Aber lassen wir diese vermoderten Narreteien. Schließlich zerstörten auch die Antifaschisten ihre
neue
Weltordnung dadurch, daß sie sie errichteten. Leider wiederholt sich die Weltgeschichte wie das Wochenmenu einer kleinbürgerlichen Hausfrau. Sprechen wir lieber von Io-Do. Er wird zu Ihnen zurückkehren, Lala, durch das Unglück geläutert. Nach einem Jahre werden Sie ein neues Hochzeitsfest feiern, bei dem ich nicht anwesend …«
    Lala unterbrach mich, indem sie eine Geste machte, als wolle sie mir den Mund zuhalten. Ich aber ließ nicht ab davon, immer hartnäckiger Io-Dos Partei zu nehmen:
    »Sie waren beide seit früher Kindheit füreinander bestimmt. Die Sternproben haben dem Bund nicht widersprochen. Infolgedessen wird und muß alles noch gut werden …«
    »Nie«, sagte Lala leise aber nachdrücklich und wiederholte zweimal »nie«.
    Da gab ich’s auf und lag still. Sie legte aber plötzlich ihre leichte, höchst mentale Mädchenhand auf meine Brust und ließ sie dort liegen, während sie mit der andern das lichtspendende Ei sanft meinem Gesicht annäherte. Ich fühlte sehr genau, daß dies ein kosmetisches Licht war, das mein Aussehen fälschte, indem es meine Falten glättete, mein Doppelkinn entfernte und mich um Jahre verjüngerte.
    »Ich hätte es nicht tun sollen, Lala«, stöhnte ich.
    »Was hätten Sie nicht tun sollen, Seigneur?« fragte sie mit Schwebungen der Zärtlichkeit.
    »Die Hand auf Ihr nacktes Herzchen legen, vorgestern … aber Frau Ururgroßmama hat mich verführt.«
    »Davon zu sprechen ist es jetzt zu spät«, sagte Lala und hatte plötzlich einen ähnlichen Mund wie GR 3 .
    »Aber ich bin doch viel zu alt für Sie, Lala«, stammelte ich, ein seliges Entzücken von tausend Volt tapfer niederkämpfend.
    »Sie sind doch erst fünfzig«, lächelte das Mädchen mich hell an.
    »Etwas mehr als fünfzig«, versetzte ich höchst ungenau.
    »Da passen wir doch glänzend zusammen, Seigneur«, sagte sie.
    Ich schloß die Augen, um stark bleiben zu können:
    »Wegen der dummen Fünfzig ist es ja gar nicht, Lala. In meinen Tagen und besonders hierzulande gab es genug ältere Esel als ich, Esel von sechzig und fünfundsechzig, die achtzehnjährige Fratzen heirateten. Warum nicht? Aber meine Fünfzig freilich sind antike Fünfzig und keine mentalen Fünfzig. Wir müssen daher eine kleine Proportionalrechnung anstellen, die wahrscheinlich auch falsch ist, da ich ein schlechter Arithmetiker bin, selbst im Vergleich zum Einfältigen des Zeitalters. Also ›hundertachtzig Jahre‹, das durchschnittliche Lebensalter, verhält sich zu Ihren ›sechsundzwanzig Jahren‹, Lala, wie mein zu errechnendes relatives Alter ›X‹ zu ›über fünfzig‹, meinem absoluten Alter. Was kommt heraus? Oh Gott, helfen Sie mir doch, Liebste.«
    »Rund dreiundneuzig«, sagte Lala, ohne einen Augenblick nachzudenken. Gesegnetes Kopfrechnen der astromentalen Jugend! Und sie fügte hinzu:
    »Ich kann nicht verstehen, was Sie mir damit sagen wollen, Seigneur …«
    »Ich will damit sagen, daß für mich ganz andere Gesetze gelten als für Sie, mein Kind.«
    »Was gehen mich Ihre Gesetze an«, lachte sie.
    »Sie gehen Sie etwas an, meine Gesetze«, bemühte ich mich um einen gefaßten Ton. »Der Altersunterschied zwischen uns ist wahrhaftig nicht wichtig, Lala, das gebe ich Ihnen zu. Ich fühle mich jung. Ich fühle mich sogar viel zu jung. Mit vollem Recht hat mich heute mein Freund B. H. infantil genannt, das heißt, ein bemoostes, aber unreifes Haupt. Ich habe keine Angst vor Ihnen, Lala. Was die Jugend anbelangt, werden wir glänzend zusammenpassen, ob ich nun über fünfzig bin oder dreiundneunzig. Es handelt sich um etwas ganz anderes.«
    »Und was ist dieses ganz andere?« fragte sie singend, wobei sie sehr leicht mit ihrer Hand über meine Hemdbrust streichelte.
    »Wissen Sie nicht«, stieß ich hervor, »daß ich nur ein Toter auf Urlaub bin? Wissen Sie nicht, daß ich im ältesten Altertum stecke, während Sie in der fernsten Zukunft leben? Schon am ersten Abend unserer Gemeinschaft, Lala, werden Sie die Lücken nicht ertragen, die ich in jedem Wort zu erkennen gebe. Und dann, wissen Sie nicht, daß ich nur auf Widerruf existiere? Muß ich Ihnen das alles erst sagen, Lala?«
    Das Mädchen

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