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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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sah mich ruhig an. Meine Eröffnungen hatten sie nicht im mindesten erschreckt:
    »Sie hätten gar nichts sagen müssen, Seigneur, denn ich weiß alles. Und es ändert nichts.«
    »Wahnsinn, Lala«, schrie ich beinahe, »Sie wissen nichts, überhaupt nichts. Sie haben keine Ahnung, wie Ihre liebe süße Hand keine Linien hat.«
    Sie zog schnell und tief beschämt ihre Hand von meiner Hemdbrust.
    »Ja, ich habe keine Linien auf der Hand«, sagte sie, »aber ich habe etwas dafür, was niemand weiß außer Vater und Mutter. Und ich will mit Ihnen gehen, und ich bin glücklich, daß der Bräutigam fort ist …«
    »Sie wollen mit mir gehen, Sie wollen mit mir gehen«, flüsterte ich mit schwindender Fassung.
    »Ja, wir wollen zusammengehn, Seigneur«, sagte Lala und reichte mir mit kindlich weiblicher Resolutheit meinen Schwalbenschwanz, den ich über den Liegestuhl gelegt hatte. Nicht wie jemand, der nur Schleierraffungen kennt, ergriff sie das phantastische männliche Ehrenkleid der Urzeit, sondern wie eine echte Frau, die schon wohl erfahren ist in der Garderobe ihres Gatten. Es war hold und rührend, doch ich hatte keine Zeit darüber nachzudenken. Sie stand da, um mir in den Rock zu helfen, nachdem sie das Licht und Glätte verbreitende Ei irgendwohin fortgelegt hatte. Ich sprang vom Bett, trat in meine Schuhe und schlüpfte in den Schwalbenschwanz. Wie schrecklich, daß ich nicht einmal Kamm und Bürste besaß, ich schäbiger alter Bursche.
    »Was haben Sie vor, Lala«, fragte ich, »wohin? …«
    »Gibt es einen andern Platz für mich als den
einen
?« erwiderte sie auch mit einer Frage.
    Ich hatte versucht, mit den nackten Händen mein trocknes, zausiges Haar in Form zu bringen:
    »Warum soll es für Sie, Lala, nur
einen
Platz auf dieser Welt geben«, rief ich empört aus.
    »Aber es ist ja gerade der Platz, wohin ich will«, sagte sie mit Nachdruck und schloß viel leiser:
    »Ist es denn nicht auch Ihr Platz?«
    Nun wußte ich alles. Sie hatte den Dschungel gewählt. Und wenn sie sagte, es sei auch mein Platz, so sprach sie nichts als die volle Wahrheit. Der Dschungel war
mein
Platz. Er war das Refugium alles Vergangenen, Altertümlichen, Zurückgebliebenen, Primitiven, Traulichen, das in mir lebte. Es war sozusagen meine Zeit inmitten der fremdesten Zukunft. Auch schien er der einzige Weg zu sein, der mir offen stand, um den Abenteuern meiner Forschungsreise zu entkommen und weiter am Leben zu bleiben. Wir würden in einem der weißen Häuschen wohnen, wie ich sie gestern von der Brustwehr aus gesehen hatte, so überlegte ich unaufhaltsam. Es wird sich leicht machen lassen. Wir werden von Milch und Brot leben und vielleicht sogar auch von Eiern. Allmählich wird Lala sich ja auch an die Hühner gewöhnen. Ich könnte Schullehrer werden oder Märchenerzähler oder Ausrufer oder öffentlicher Schreiber, da der Dschungel gewiß von Analphabeten wimmelt. Mein Frack paßt zu all diesen Berufen ausgezeichnet. Im Dschungel war ich zu Hause, ohne Zweifel. Aber war Lala im Dschungel zu Hause? Welche Erniedrigung für sie.
    »Lala«, hörte ich mich laut rufen, »seien Sie doch vernünftig. Sie gehören nicht in den Dschungel, in das säuische Getümmel der Urzeit …«
    Wie zur Antwort nahm das Mädchen den ebenholzschwarzen Haubenhelm mit einer seltsam entschlossenen Gebärde vom Kopf und ließ ihn drei Atemzüge lang über ihrem Scheitel schweben. Von einer Fülle schwarzen seidenfeinen Haares zu sprechen, wäre eine Grobheit. Es war eher eine Aura, ein Perisprit, eine Ahnung von dunklem Haar, das Lala zwei Augenblicke mich sehen ließ. Man wird aber begreifen, daß diese Selbstentblößung eines rührend mentalen Gebrechens mich um den letzten Rest meiner Fassung brachte. Nicht nur war für mich Lalas strahlende Schönheit noch unendlich schöner geworden, so daß die gebietende und entfernende Fremdheit durch die Aura von Frauenhaar hinwegschmolz; was geschah, war viel mehr als eine Steigerung des sinnlichen Reizes allein. Ich fühlte in einer unausdeutbaren Weise Lala mir historisch angenähert. Zwischen uns hatte sich eine neue süße Nachbarschaft erschlossen. Ich wußte von Lala, was nur Vater und Mutter von ihr wußten. Sie hatte ihr Geheimnis dahingegeben, um mir zu beweisen, daß sie mehr an meine Seite gehöre als zu Io-Do und den Gecken und Stutzern dieses Zeitalters. Inmitten dieser siriusfremden Welt, in die ich hineingeschneit war, blühte plötzlich eine Vertrautheit und eine Verschworenheit auf, wie

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