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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Aristokrat wie Io-Fagòr den Untergang der astromentalen Gesittung überleben …«
    »Ist das nicht eine Art Selbstmord?« fragte ich mißtrauisch.
    »Selbstmord heißt, Hand an sich selbst legen«, entgegnete B. H. schnell. »Im Wintergarten legt niemand Hand an sich selbst. Der Wintergarten birgt das einzig mögliche kultivierte, komfortable, ja luxuriöse Ende aller menschlichen Dinge. Das ›Übel‹, das ›Böse‹, die notwendige Mißlungenheit der Natur, worüber wir sooft philosophiert haben, F. W., ist dort im Wintergarten durch die Kraft des forschenden Geistes ausgeschaltet. Nicht mehr feiern die Würmer ihre Feste. Nicht mehr füttern wir die Erde mit der Jauche unserer ehemals hochbeseelten Gestalt. Nicht mehr weihen wir den Leib einer kremierenden Flamme, die uns mitsamt von Brettern, Sägespänen und anderm Mist im Glutofen hochsetzt, zermalmt, verkohlt und zu schmutziger Asche macht. Doch wichtiger als das, wir sterben nicht. Ich gebrauche das Wort offen. Wir werden nicht mehr, mit Angst und Todesschweiß auf der Stirn, gefällt von Apoplexien, Thrombosen und Krebsgeschwüren. Die Menschheit hat an Stelle all dieser Schrecken einen reinen und heiligen Prozeß eingeführt, der so schön ist, daß die Toten untröstlich sein sollen, ihn nicht wiederholen zu dürfen.«
    »Das war ein prächtiger Lobgesang, B. H.«, sagte ich, ohne meinen spöttischen Ton unterdrücken zu können.
    »Ich bin nichts als aufrichtig zu dir«, versetzte er kurz.
    »Und was hast du beschlossen, B. H.?«
    »Es fragte sich, was
du
beschlossen hast, F. W. Du bist hier das Hauptproblem, nicht ich. Darin sind alle Hausgenossen einig. Doch welche Entscheidung du auch triffst, ich werde bei dir bleiben. Den Wintergarten allerdings solltest du ebenso sehen, wie du den Djebel gesehen hast.«
    »Du brauchst mir deinen Wintergarten nicht länger zu offerieren, B. H., ich habe ihn schon gekauft. Ich akzeptiere den allgemeinen Beschluß. Was soll ich auch anderes tun.«
    Mein Freund wandte sich mit einem Ruck zu mir und sah mich scharf an.
    »Dieses dein ›was soll ich auch anderes tun‹«, sagte er, »bringt einen falschen Ton in die Sache. Zur Freiwilligkeit des letzten Weges gehört auch eine gewisse Freudigkeit, ein rechtes Einverstandensein. Diese Empfindungen unterscheiden den Kulturmenschen, der weiß, wann es genug ist, vom Barbaren, der nicht aufhören kann, zu schlecken und zu schlingen …«
    »Höre, B. H.«, unterbrach ich ihn, »mach dir nichts vor und laß uns realistisch bleiben. Ich will weder von Depressionen und Melancholien noch von panischen Traumata und Erfüllungsenttäuschungen verwundet werden. Und was hab ich sonst für Aussichten in dieser öden Welt, die sich wieder einmal selbst zerstört? Freiwilligkeit und Freudigkeit hin und her. Der Wintergarten ist immerhin ein Ausweg.«
    Der Wiedergeborene stützte den Kopf traurig in seine Hände. »Es ist mir schrecklich, unsagbar schrecklich«, bekannte er, »daß es mit uns so blamabel ausgefallen ist. Ich habe mich ganz diebisch gefreut, als ich dich wiedersah. Ich habe mir vorgestellt, wir werden Fest auf Fest feiern, und du wirst viel Freuden haben und ganz hingerissen sein …«
    »Das bin ich auch, lieber Freund«, tröstete ich ihn. »Ich bin von vielen Dingen hingerissen, noch immer und trotz allem … und an den andern bist du nicht schuldig.«
    »Zu schade«, seufzte B. H. noch einmal auf.
    Dann führte er mich in das Zimmer, wo ich der Sippe der Hochzeiter zum erstenmal erschienen war. Alle hatten sich versammelt. B. H. brauchte kein Wort zu sprechen. Man sah mir am Gesicht an, daß ich willens war, mich der Familie anzuschließen auf dem letzten freiwilligen Wege. Eine brüderliche Wärme schlug mir entgegen. Ich gehörte zu ihnen. All diese jugendschönen Männer und Frauen, die meisten im gesetzten Alter, traten auf mich zu und umarmten mich mit leiser Berührung, soweit sie die astromentale Erziehung gestattete. Io-Fagòr zog mich sogar an seine Brust. Nur GR 3 verhielt sich merkwürdig. Sie drückte sich abseits, und ihre tiefliegenden Augen wanderten unruhig von einem zum andern. Io-Fagòr hatte inzwischen einen kleinen blitzenden Schlüssel hervorgezogen, mit dem er eine verborgene Tür aufschloß, die in einen langen Korridor führte.

Einundzwanzigstes Kapitel
    Worin im Innern des Planeten die Episode des Wintergartens beginnt und ich jenes Institut betrete, in welches man sehr bequem hineingeht, aber aus welchem man äußerst

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