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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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behilflich sein zu können. Diese Kopfschmerzen, an denen mein Freund und ich laborierten, sie seien das alltägliche Leiden aller Neuangekommenen. Sie bedeuteten gar nichts anderes als eine flüchtige Reaktion des Körpers auf die ungewohnten Lebensbedingungen und den hohen Luftdruck im Hohlraum. Es gäbe ein bewährtes Mittel, das mit dem Kopfschmerz rasch fertig werde. Nachher fühle man sich besonders komfortabel. Mehr als das, man fühle sich neugeboren. Das Mittel aber sei nichts Schlimmeres als ein kleines Moorbad in der Wasserheilanstalt daneben. Es stehe übrigens schon bereit. Ehe wir ja oder nein sagen konnten, hatten die Badediener uns schon entkleidet. Ich besaß Energie genug, um zu fordern, daß mir meine Kleider nicht aus den Augen kommen dürften. Die beiden Badediener waren sehr verständig. Sie schienen sich durch meinen Argwohn nicht verletzt zu fühlen, selbst dann nicht, als ich beiden einen Eid abverlangte, daß in ihrem Moorbad keine Schnecken, Würmer, Mollusken und Kaulquappen sich gütlich taten.
    »Licht«, rief ich zum Schluß. »Ich will besseres Licht im Badesaal haben.«
    »Welches Licht fordert Seigneur?« fragte Badehelfer Nummer Eins dienstwillig.
    »Mittagssonne im Juni«, rief ich unbescheiden und aus voller Brust. Mein Wunsch wurde ohne weiteres erfüllt.
    Es war nicht das erste Moor- oder Schlammbad, in dem ich hier lag. Von ähnlichen Bädern aber unterschied es sich aufs vorteilhafteste dadurch, daß die warme dicke Masse, in der ich meine erfreuten Glieder streckte, nicht an der Haut kleben blieb und sie auch nicht beschmutzte. Der Kopfdruck war nach einigen Sekunden verschwunden. Ein Gefühl der Freiheit und Leichtigkeit durchseelte den ganzen Leib, als wäre das stockende Blut frisch in Schwung gebracht. Es war ohne Zweifel ein angenehmes, ja ein süßes Gefühl der Verjüngung und Entschwerung, das ich plötzlich genießen durfte. Man hatte mich nicht belogen. Ich gab mich nach den zahlreichen Strapazen dieses meines dritten astromentalen Tages gerne der balsamischen Wonne des Augenblicks hin und begann zu vergessen, wo ich war und welchen Zweck mein Hiersein hatte. Ich weiß nicht, wie lange wir bereits in dem sogenannten Moorbad saßen, als mein Blick auf B. H. fiel.
    Er hielt die Augen geschlossen und lächelte in vollkommener Seligkeit. Als astromentaler Mensch unterlag er, wie es schien, der Wirkung dieses Bades viel stärker als ich, der stumpfe Bürger des frühen Altertums. Als ich ihn aber schärfer ins Auge faßte, bemerkte ich, daß sein Gesicht sich beängstigend verändert hatte. Er schien noch jünger geworden zu sein, noch knabenhafter als er war. Alle Schatten und Schärfen seiner Züge waren wie ausgelöscht. Man hätte meinen können, daß einer der Badediener dieses Gesicht mit einer ganz dünnen Schminke bestrichen habe, die alle Charakteristica entfernte, um nur diese unpersönlich puppenhaft starre Seligkeit übrigzulassen. Ich wundere mich noch jetzt über die Kraft und Entschiedenheit, mit welcher ich selbst aus dem dicken Moor sprang, meinen Freund unter die Achsel faßte, ihn aus der Holzwanne zog und auf die Beine stellte. Er leistete keinen Widerstand, schien aber sehr unwillig zu sein, obwohl er noch lange kein Wort sagen konnte. Die Verstörtheit seiner Augen aber zeigte mir, daß er nicht verstehen konnte, daß ich ihn aus seinem wonnigen Zustand brutal herausgerissen hatte. Ich verstand mich selbst nicht. Warum fürchtete ich dieses harmlose und doch tief erquickende Moorbad? Hatte ich überdies in Io-Fagòrs Hause nicht den Entschluß zum letzten Weg gefaßt, der ja der einzige Ausweg war? Was wollte ich? Ich wußte nicht, was ich wollte. Ich wollte, daß B. H. nicht so selig lächle. Die Badediener Eins und Zwei sahen mich groß an und staunten mit besorgten Stirnen über die unerwarteten Muskelkräfte, die mir zur Verfügung standen.
    »Bestellen Sie unserm Animator«, herrschte ich sie an, »er möge sofort kommen.«
    »Hier ist er, der lebhaft Gewünschte«, erwiderte eine etwas lispelnde, fröstelnde, gleichsam händereibende Stimme zwischen Schlafzimmer und Badesaal.

Zweiundzwanzigstes Kapitel
    Worin unter Führung des Animators die letzte unserer »Besichtigungen« stattfindet, und ich neben den Treibhäusern, auf welchen der ganze Stolz der astromentalen Menschheit beruht, auch den Ammenhügel kennenlerne.
    Der Animator stand mit aufmunterndem Lächeln in der Tür unseres Badesaals und rieb tatsächlich seine Hände. Er war kein

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