Stern der Ungeborenen
Riese. Er war ganz im Gegenteil klein und vielleicht etwas verwachsen. Der weiße Kittel, in dem er stak, schien zu weit zu sein für seine Gestalt. Während die andern Funktionäre dieser Unterwelt hier Kopfbedeckungen trugen, die an Koch- und Zuckerbäckermützen erinnerten, zeigte der Animator seinen überaus langen und ein wenig deformierten Blankschädel nackt. Er besaß die einzige disproportionierte Gestalt, die mir bisher auf meiner Reise begegnet war, denn die kugelige Verkrüppelung des Hochschwebenden hatte sich mir ja als eine verfrühte Tendenz des menschlichen Körpers zur schwebenden Fortbewegung offenbart, zu welcher er sich einmal in ungezählten Jahrhunderttausenden hinentwickeln wird. Die leichte Verwachsenheit unseres Animators aber – das Wort Verwachsenheit ist schon eine unerlaubte Übertreibung – schien keinerlei biologische Zwecke zu verraten. Sie war nicht die Folge jener kosmischen Arthritis, welche sich die Fremdfühler in den Raum-Ozeanen zwischen den Sternnebeln zugezogen haben. Was den Namen »Animator« betrifft, so bin ich mir selbst über seine Bedeutung nicht ganz im klaren. Ihn schlankweg als »Beseeler« zu übersetzen, würde ich für einen großen Fehler halten, denn die Aufgabe des also Betitelten war es ja durchaus nicht, den toten Stoff zu beseelen, sondern weit eher, die Trennung zwischen Seele und totem Stoff zu einem festlichen Vergnügen zu gestalten. Ich neige somit eher dazu, das Wort Animator mit dem Wort animieren in Zusammenhang zu bringen. Der Animator hatte die Aufgabe, seine Gäste zu animieren. Schon IoFagòrs letzte Worte hatten es mir verraten, daß es sehr viele gab, die im entscheidenden Augenblick vor jenem festlichen Vergnügen zurückschraken, das sie ihr ganzes Leben hoch gepriesen hatten; denn mag das Ende auch noch so köstlich und vergnüglich und appetitlich sein, es ist und bleibt doch das Ende eines lange gewohnten Zustands. Wer aber wechselt gerne seine gewohnten Zustände, selbst wenn sie gar nicht vergnüglich sind?
Ich muß noch schnell ein kosmisches Charakteristikum des Animators erwähnen. Er schien in der dicken dampfigen Treibhausatmosphäre hier unten zu frösteln, denn manchmal sog er die Luft hörbar ein und ließ dabei ein Zähneklappern hören. Um noch einmal einen Vergleich zu wagen: Wie der Hochschwebende trotz vermehrter Gravitation sich nicht in den untern Regionen seines Comptoirs zu halten vermochte, so konnte der Animator in dem veritabelsten Dampfbad nicht warm werden. Berufliche Gebrechen.
»Es tut mir leid, daß wir Sie in unschicklichem Zustand empfangen, Maître Animator«, sagte ich plötzlich ruhig geworden und vergaß dabei, daß Nacktheit durchaus nichts Unschickliches war. Der Animator unterdrückte ein Schnappern und erwiderte, leicht mit der Zunge anstoßend:
»Die Nacktheit, Seigneur, ist für die Augen des Arztes auch nur eine Hülle.« Während er mit entschuldigenden Schrittchen näher auf uns zutrat, sprach er zu sich selbst, und zwar so, als lasse er den unaufhörlichen wissenschaftlichen Monolog seines Innern für einen Augenblick an die Oberfläche treten:
»Nein, nein, die Haut, der ektodermatische Bezirk ist alles eher als Nacktheit. Nacktheit ist überhaupt nur eine Illusion der Liebesleute, die sich aneinanderreiben, um sich gegenseitig aufzutun. Die Haut aber ist das Verschließendste und Verschlossenste, was es gibt. Sie ist das nahtlose Gewand …« Ohne einen Kälteschauer ganz verbergen zu können, erfaßte er mich mit einem kurzen, erstaunlich scharfen Blick seiner geröteten Augen von Kopf zu Füßen und nach mir meinen Freund. Währenddessen setzte er seinen Monolog fort wie einer, der seine Arbeit mit losen Worten, gleichgültig welchen, begleitet: »Das nahtlose Gewand des hohen Priesters hatte vier Öffnungen. Das Gewand des Menschen, die Haut, hat drei mal drei Öffnungen: Zwei Augen, zwei Ohren, zwei Nasenlöcher, einen Mund, ein Geschlecht, einen After … Alles in bester Ordnung, wie ich merke, Seigneur, soweit das nahtlose Gewand in Betracht kommt, bis auf die zehnte Öffnung oder Halböffnung da, den Nabel. Barbarisch abgebunden. Müssen sinistre Zeiten gewesen sein. Tut nichts. Haben’s überstanden. Aber es wird nicht ganz leicht sein mit Ihnen, Seigneur, nicht ganz leicht. Schwieriger jedenfalls als mit dem Freunde hier …« Und er lächelte vertrauensvoll B. H. an.
»Was verstehen Sie unter leichter und schwerer?« fragte ich den Animator zwischen den Zähnen.
»Ich
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