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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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glücklicher als ich«, lächelte der Animator. »Ehre, wem Ehre gebührt. Ich danke im Namen des Wintergartens. Wir stehen hier in bester Verbindung mit dem Djebel. Genau über Ihrem Scheitel, Seigneur, befindet sich in der verlängerten Geraden die Kanzlei des Hochschwebenden. Genau über dieser befindet sich in der verlängerten Geraden ›Erzengel Michael‹ oder der ›Nordstern‹. Genau über diesem befindet sich in der verlängerten Geraden der zygotische, das ist der befruchtete Sternnebel ›Universum Hibernum‹ oder ›Winterwelt‹. Man hat Ihnen im Djebel gewiß Kunde gegeben von den beiden Arten der Sternnebel, den schraubenförmigen und eiförmigen, den spermatischen und ovariellen, den männlichen und weiblichen.«
    Es fiel mir nicht nur auf, sondern war mir recht unangenehm, daß der Animator über so hohe Welträtsel offen plauderte und ein ungeheueres Geheimnis, wie das eines befruchteten Universums, mir nichts dir nichts in seine Rede einfließen ließ, ganz im Gegensatz zum Hochschwebenden.
    »Man hat mir Unwürdigem verraten«, sagte ich leise, »daß unser Weltall erstens Menschengestalt besitze und zweitens mit sich selbst verheiratet sei.«
    »Bei uns werden Sie mit einer weniger mystischen und metaphysischen Ausdrucksweise bedient werden, Seigneur«, versetzte der Animator. »Wir steigen nicht hoch empor, sondern tief hinab. Und je tiefer man hinabsteigt, um so wirklicher wird die Wirklichkeit. Halten Sie nur eines fest, meine Herren, das Weltall ist nicht androgyn, nicht mannweiblich oder weibmännlich, wie einige Pfuscher noch vor kurzem, das ist vor zweihundert Jahren, behauptet haben. Drei Worte beherrschen das Ganze, von der hellen Winterwelt dort oben bis zum dunklen Wintergarten hier unten … Zeugen, Fruchttragen, Gebären …«
    »Also das will ich nicht hören«, schrie B. H. plötzlich ergrimmt und stampfte mit dem Fuß auf. »Ich will nicht hören, daß Sterne dasselbe sind wie Unikeln, Achads und Monade. Das ist lauter verlogener Mist der archaischen Naturwissenschaft. Wir sind gestern lange genug herumgetrudelt im Innersten so eines verfluchten Sauerstoffatoms. Atome sind ebensowenig Sterne, wie Spielmarken Dukaten sind …«
    Der Animator sah mich hilflos an.
    »Mein Freund«, lachte ich, »hat einen Vergleich aus einem seiner früheren Leben gewählt … Sie sehen, er ist etwas erregt. Aber seine Erregung ist mir lieber als der apathische Konformismus, den er im Moorbad gezeigt hat …«
    Ich nahm B. H. bei der Hand:
    »Wäre es nicht gut, jetzt zur Besichtigung aufzubrechen, Maître?«
    »Noch eine kurze Weile, meine Herren«, versetzte der kleine Mann und neigte seinen schmalen langen Schädel. »Ich halte einige Präliminarien für unerläßlich. Darunter verstehe ich ein paar aufklärende Bemerkungen meinerseits, damit sie das Prinzip verstehen und darum das Köstliche besser genießen können … Ach nein, ist das nicht ein blauer Sonntag für mich?«
    »Wieso Sonntag«, fragte ich, »gibt es denn hier Tage?«
    »Natürlich gibt es keine Tage, Seigneur«, bestätigte der Animator. »Ich habe nur eine leere Redensart gebraucht, um meine Freude über solchen Besuch auszudrücken. Wir haben hier den Vorteil, durch keinen astronomischen Stundenplan behindert zu werden …«
    »Dafür aber durch private Zeit«, lächelte ich pointiert.
    »›Private Zeit‹, so heißt sie nur im Jargon der Subalternen«, erwiderte der Animator mit einem leichten Tadel. »Wir aber, meine Herren, sprechen von der autobiologischen Zeit. Und zur autobiologischen Zeit wird niemand gezwungen …«
    Nach diesen Worten gab der Animator den Badedienern einen leisen Auftrag. Die Kolosse auf tönernen Beinen überstürzten sich vor Gehorsam und kehrten nach wenigen Sekunden zurück. Sie brachten einen Krug und drei Becher, die sie mit der Flüssigkeit füllten, die der Krug enthielt. Obwohl unablässig auf der Hut, entschloß ich mich, dem Willkommstrunk zuzusprechen. Es schien wirklich und wahrhaftig alter Cognac zu sein. Es schmeckte und brannte wenigstens wie guter Cognac, so feurig und leicht ölig zugleich.
    »Die Herren werden frische Kräfte für die Besichtigung nötig haben«, munterte uns der Animator auf. Und er hatte recht. In dem Trunk verbarg sich kein tückischer Trick. Mochte der Becher Branntwein enthalten oder ein unbekanntes Elixier, er wirkte Wunder, zumal auf mich. Obwohl ich in diesen Minuten überhaupt nicht wußte, was ich selbst vorhatte, und noch immer kaum daran

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