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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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nicht meine Spezialität ist und daß ich viel eher ein Lazzarone bin als ein Charakterprotz. Aber eines dulde ich nicht, daß man meiner Seele und meinem Bewußtsein nahetritt. Da stehe ich davor wie ein Erzengel oder ein Preisboxer. Ein paar Psychoanalytiker, die im Laufe meiner jüngeren Jahre zudringliche Unterhaltungen mit mir begannen, mußten eilig den Rückzug ergreifen, aber sehr eilig …«
    »Und die Beichte, F. W.?« murmelte mein Freund schläfrig.
    »Das ist ein ebenso alter wie falscher Vergleich, B. H.«, entgegnete ich. »Die Beichte nimmt keine Persönlichkeit ab, die dir ihre Überlegenheit beweisen muß und dich mit tückischen Augen heimlich zum Kampf herausfordert, sondern der Priester, der nur ein Amt ist und kein Selbst und als Verwalter eines heiligen Sakraments sich nicht an willkürlich theoretische Ausgeburten, sondern an strenge Vorschriften zu halten hat …«
    Ich unterbrach mich, denn bei diesen Worten fielen meine Augen auf einen weißen Zettel, der an der Wand befestigt war, ähnlich wie in den Hotels der Urzeit die Preisliste. Auf diesem Zettel stand in säuberlich ausgeführter Handschrift zu lesen: »Die Brüder vom kindhaften Leben lesen die hlg. Messe und hören die hlg. Beicht.«
    Ein Meisterstück, dachte ich bewundernd. Die Kirche verweigert zwar den Kandidaten des Wintergartens die Sterbesakramente, nicht aber Beichte und Kommunion. Plötzlich fiel es mir ein, daß mich der Großbischof aufgefordert hatte, seinen Schutz zu suchen, gerade dann, wenn das geschah, was geschehn war, und man mir als letzten Ausweg den Wintergarten anbieten würde. Mit einem Mal wurden mir die letzten Worte klar, die er beim Abschied zu mir gesprochen hatte. Doch was half es? Bei der Erinnerung an den Großbischof schlug ich erregt mit der Faust gegen die Wand. Sie war weiß und ölig glatt wie in allen astromentalen Räumen, um den Einschlafenden die erwünschte leere Fläche für ihre visionären Tapeten zu bieten. Überraschenderweise aber war sie auch morsch. Meine nackte Faust hatte ein ganzes Loch in die Mauer geschlagen, die aus einem sehr morbiden Material bestehen mußte, denn kein kalkiges Gebröckel rieselte zu Boden, sondern Sand, dunkle Erde und Asche. Wären nur aus dem für die Kraft meines Faustschlags viel zu großen Loch irgendwelche Käfer, Küchenschaben oder anderes Ungeziefer hervorgekrochen, ich hätte mich nicht gewundert. Kein Ungeziefer aber und keinerlei Käfer krochen hervor aus dem Loch, sondern verdächtige Weichtiere, kleine, seltsame Schnecken, nackte und schalentragende, Ringelwürmchen und allerlei widerwärtige andere Mollusken, deren einige mir im Gedächtnis blieben, so daß ich sie nach meiner Rückkehr in ›Dr.H. G. Bronns Klassen und Ordnungen der Weichtiere‹ ( 1862 – 66 ) nachschlagen und wiederfinden konnte. Es waren in der Hauptsache die zwerghaften Pulmonata oder Lungenschnecken, die schon Lamarck zu den Cephalopoden und Nudibranchien rechnet und als Pupa, Bulimus, Achatina und Planorbis beschreibt. Dieses also prächtig benannte Zeug zauderte und schleimte sich aus dem Loch hervor. Es bewies, daß fette, schwarze, nährende Erde sich in der Nähe befinden mußte, was niemand diesem leblosen Hohlraum tief unter der Lithosphäre zugetraut hätte, da ja fette, nährende Erde nichts anderes ist als das Produkt zerfallenden organischen Lebens, das es nur auf der obersten Oberfläche des Planeten geben kann. Ich bin durchaus nicht zimperlich, aber vor diesen Schnecken und Weichtieren empfand ich einen Ekel, den ich kaum verbeißen konnte. Ähnlich erging es mir mit dem Wasser.
    Neben unserm Schlafzimmer befand sich ein splendider Badesaal. Ich muß auf dem Wort »Saal« bestehen, denn er war mindestens zwanzig Schritte lang und mit allerlei mir unbekannten Dusch- und Sprühsystemen angefüllt. Er wirkte wie eine Kaltwasserheilanstalt früherer Tage. Hier unten im Tartarus schien man sich nicht mit trockener Phosphorreinigung zu begnügen. Alles hier unten war altmodisch und kaum mehr im Zusammenhang mit astromentalen Sitten. In der Nähe des Badesaals stand ein springbrunnenartiges Bassin mit einer Fischfigur als Wasserspeier. Ganz zufällig bewegte ich meine Hand über dem Fischmaul mehrmals hin und her. Durch den Elektromagnetismus meines Körpers versetzte ich unversehens den Springbrunnen in Tätigkeit. Doch schon während das Wasser hervorfächerte, konnte ich mit Widerwillen bemerken, daß es dick und braun war vor lauter Leben. Winzige

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