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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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krankhaft aufgeschwemmt und sahen den Eunuchen eines Harems ähnlich. Sie bewegten sich langsam und schlapp, sprachen mit hoher, kernloser Stimme und zeigten Freundlichkeit und Geduld. Ihr hoher und breiter Wuchs schien ihnen selbst beschwerlich zu sein. Sie hatten an sich selbst gewissermaßen viel zu viel zu schleppen. Mein Eindruck von den Weißbekittelten war auf eine kurze Formel gebracht: Kolosse auf tönernen Beinen.
    Wenn ich auch noch keine direkte Antipathie gegen sie empfand, so lag doch mein ganzes Wesen auf der Lauer, ohne daß ich es wußte und wollte. B. H. hingegen, der sein Leben lang unter der Propaganda der »höchsten Errungenschaft« gestanden, zeigte keinen Schatten von Widerstand, sondern ganz im Gegenteil Einverständnis mit allem. Es war mir unangenehm, daß er den beiden Funktionären dankte, weil sie so schnell gekommen waren, sich unser anzunehmen.
    »Wir bringen den Herren das Frühstück«, sagte Badediener Nummer Eins, mich schamhaft aus halbgesenkten Augen anlächelnd, woraus ich schloß, daß er mir zugeteilt war. Die beiden hatten ein Tischchen mit den sattsam bekannten Säften und Süppchen hereingeschoben.
    »Es kann auch das Nachtmahl sein«, sagte der Badediener Nummer Zwei.
    »Es wird das sein, wofür die Herren sich entscheiden werden.«
    Dann lächelte auch er seinen Pflegling B. H. an.
    »Wie das?« fragte ich scharf. »Fürs Frühstück ist es viel zu spät, für den Nachttrunk ist es viel zu früh. Wieviel Uhr haben wir?«
    »Wir haben überhaupt keine Uhr«, entgegneten die Badediener leicht erschrocken wie aus einem Munde. Und der wahrscheinlich Intelligentere fügte hinzu: »Wo es keine Sonne und keinen Mond gibt, da gibt’s auch keine Uhr.«
    »Das ist durchaus unrichtig«, tadelte ich ihn streng. »Die Uhr ist da, um Sonne und Mond zu ersetzen … Was für Zeit haben Sie überhaupt hier unten? …«
    Mein energisches Wesen schien die Badediener nicht nur einzuschüchtern, sondern mit Sorge zu erfüllen. Sie sahen einander betroffen an. Ihre Gäste pflegten sonst nicht soviel Heftigkeit zu entwickeln.
    »Was für Zeit wir haben, Seigneur?« wiederholte Nummer Eins meine Frage und lüftete dabei seine weiße Mütze, die an die eines Koches erinnerte. »Wenn es nötig wird, bekommt man hier unten eine private Zeit.«
    »Private Zeit? Was ist das für ein Unsinn«, rief ich grimmig. »Zeit ist wohl dasjenige, was am wenigsten privat ist …«
    »Da hast du aber unrecht, Chronosoph F. W.«, rief der Wiedergeborene, den mein schlechtes Benehmen aus seiner Schlaftrunkenheit emporriß. »Weißt du nicht, daß jeder Mensch seine eigene Körperzeit hat, daß jeder Mensch seine eigene Körperuhr ist? …«
    »Und wann beginnt man hier auf diese Körperuhr zu schauen?« fragte ich etwas versöhnlich, da B. H. schließlich recht hatte. Die Badediener sahen sich wieder besorgt und betroffen an. Dann schlug Nummer Zwei, der etwas kleiner war als Nummer Eins, die Augen nieder und sagte zögernd wie ein Ungebildeter, der eines Fremdwortes nicht ganz sicher ist: »Man beginnt hier die private Zeit mit der Anti … mit der Antiception …«
    Wie um meinem Zorne zuvorzukommen, begann Nummer Eins mit seiner hohen Stimme mich zu beruhigen:
    »Keine Eile, meine Herren. Die Herren haben alle Zeit der Welt, ehe sie sich entschließen, ihre private Zeit zu beginnen. Die Herren müssen sich überhaupt nicht entschließen. Die Herren können ohne weiteres Badediener werden wie wir oder Unter- und Obergärtner oder Nummernzähler, und wenn sie die siebenundzwanzig Prüfungen machen auch Animator …«
    Bei dieser gutgemeinten Rede stieg in mir wieder die Gereiztheit hoch:
    »Ich habe hier das Wort Antiception gehört, einen helldunklen Ausdruck der Wissenschaft. Ich liebe keine helldunklen Anspielungen. Ich will volle Klarheit und kein clair obscure. Ich akzeptiere den Galgen, wenn man ihn Galgen nennt und nicht Schlingenschaukel …«
    Plötzlich mußte ich mich unterbrechen. Was früher nur Somnolenz und schwerer Kopf gewesen, das hatte sich jetzt in wüsten Druck und Schmerz verwandelt. Das Blut hämmerte an meine Schläfen. Der Druck unter der Stirne wurde unerträglich.
    »Man sagt«, stöhnte ich, »daß man hier unten die angenehmsten und süßesten Gefühle der Welt erlebt. Bisher habe ich nichts davon gemerkt. Oh, mein armer Kopf …«
    Die beiden Weißbekittelten sahen einander nicht mehr besorgt, sondern befriedigt an. Sie schienen sehr erfreut, einem Leidenden wie mir

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