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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Kaulquappen, Infusorien, Manteltierchen, Miniaturfischchen und Muscheln sammelten sich in der Schale. Ich rief B. H. und zeigte ihm sowohl das Loch mit den Weichtieren als auch das Springbrunnenbassin mit der verrückt umherschießenden Wasserfauna:
    »Was sagt Io-Fagòr dazu und die andern edlen Herren und Damen, die nur von Sternenspeise leben?«
    »Wir sind in der Unterwelt, F. W.«, zuckte B. H. geistesabwesend die Achseln und gähnte wieder.
    »Und die Unterwelt?«
    »Die Unterwelt war immer schmuddelig«, sagte er, ohne besonderes Interesse zu zeigen.
    In unserm Zimmer waren zwei Fenster mit fest zugezogenen Vorhängen. Da die Astromentalen an wirkliche Fenster nicht gewohnt waren, so hatten unsere Vorgänger hier wahrscheinlich nicht einmal daran gedacht, diese Vorhänge zu öffnen. Ich tat es nun trotz meines Freundes Protest und stieß eines der Fenster auf. Die Scheiben waren übrigens zerbrochen und nur mit Papier verklebt (schmuddelig, schmuddelig!). Trotz des herbstlichen Dämmerlichtes konnten wir ziemlich weit sehen.
    Niemals hat ein Name, eine Bezeichnung den äußern Schein der Sache so gut ausgedrückt wie hier. Was wir sahen, konnte nichts anderes sein als ein Wintergarten, ein Treibhaus, freilich von unabsehbaren Maßen. Die Einzahl Treibhaus ist natürlich unrichtig. Es waren schier unzählige Treibhäuser von verschiedenster Größe, die sich in jede Richtung erstreckten, soweit der Blick in die weite Herbstdämmerung hinausreichte. Die meisten hatten auch, wie sich’s gehörte, Dächer von Glas oder von glasähnlichem Material, und die funkelnden Reflexe da und dort schienen von unsichtbaren Strahlen herzustammen, die sich auf diesen Glasdächern brachen, ehe sie ins Innere drangen, um ihren Zweck zu erfüllen. Ich schnupperte die Luft ein, der ein leises aber scharfes Arom beigemischt war.
    »Wonach riecht’s hier?« fragte ich.
    Mein Freund, der keinen dubiosen Körper besaß wie ich, sondern ehrlich in die astromentale Welt hineingeboren war und in ihr hundertundsieben Jahre gelebt hatte, zeigte wenig Mißtrauen, sondern schien mit allem einverstanden zu sein:
    »Ich rieche gar nichts», sagte er. »Daß die Luft im Wintergarten nicht besonders wohltut, ist eine alte Sache und kann gar nicht anders ein … Wonach riecht es also, F. W.?«
    »Es riecht, warte einmal, es riecht nach Windeln, es riecht nach Babies …«
    »Das könnte sein«, gähnte er tief und lange. »Wir werden bald selbst wie Babies riechen …«
    »Pfui Teufel«, entfuhr es mir.
    Mein Ausruf weckte B. H. aus seiner Apathie:
    »Wie kannst du nur pfui Teufel sagen, F. W.«, schüttelte er immer wieder den Kopf. »Es ist das Größte, was der Mensch errungen hat, es ist der Tod des Todes, es ist die Geburt aus dem eigenen Körper. Nichts, nichts, aber auch gar nichts soll angenehmer und süßer sein …«
    An dieser Stelle wurde unser Gespräch durch zwei weißbekittelte Gestalten unterbrochen, die schon lange im Zimmer standen, für mich aber erst bemerkbar wurden, als ich das offene Fenster voll Windelgeruch wieder schloß und mich umdrehte. Im Gegensatz zu den astromentalen Wohnungen, die eine gewisse spartanische Nacktheit als edlen Stil hervorkehrten, waren die Fußböden hier mit dicken Teppichen belegt, und die Weißbekittelten schlichen überdies auf filzartigen Sohlen, so daß man sie niemals kommen oder gehen hörte. Auch die beiden sogenannten Badediener, die man uns zugeteilt hatte, waren große und schwere Gestalten. Wenn sie auch nicht den Riesenwuchs des Arbeiters und seines Clans erreichten, so forderte ihr Körpermaß doch diesen Vergleich heraus, der freilich schon in der ersten Sekunde zu ihren Ungunsten ausfiel. Man soll nicht ungerecht sein, und das wäre es, wenn man von den Angestellten des Wintergartens die Sonnverbranntheit, die gewaltige Wohllaune, die explosive Gesundheit und das goldene Löwengebrumm des Arbeiters forderte. Woher sollten auch die Bediensteten hier unten in diesem großen Hohlraum, fern dem Sonnenlichte, das sie vermutlich gar nicht ertragen konnten, woher sollten sie des Lebens Morgenjubel nehmen? In sauerstoffarmer Luft, vom Einbruch gefährlicher Kohlenoxyde stets bedroht, unter unnatürlichen Druckverhältnissen, dem warmen Sprühregen jenes Scheinhimmels oben ausgesetzt, entwickelte sich hier der Menschenkörper völlig anders als in der trocken klaren Atmosphäre des Arbeiterparks. Diese beiden Badediener, die in unserm Zimmer standen, waren grau im Gesicht,

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