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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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habe, Kolosse auf tönernen Beinen waren und nichts anderes. So hoch sie mich auch überragten, so breitspurig, stiernackig und möbelpackerartig sie auch daherstapften, mein Instinkt erkannte trotzdem, daß ihre mächtigen Erscheinungen mit ihren Muskelkräften nicht in Einklang standen. Obwohl ich weder Faust- noch Ringkämpfer war, traute ich mir wohl zu, sie in Schach zu halten. Sie waren und blieben Schattenexistenzen, zu denen sie das lange Leben im Hohlraum der Erde gemacht hat.
    Die Wolken in der unermeßlichen Höhe schienen trüber geworden zu sein, und auch das Nebelreißen und Nieseln hatte sich in deutlicheren Sprühregen verwandelt. Vor meinen Blicken dehnten sich unendlich die Margueritenfelder. Es waren sehr hochstenglige, gerade, zumeist weiße, dann und wann aber auch gelbe Margueriten mit handtellergroßen Blütenköpfen, die nebeneinander regungslos wuchsen, Millionen und Abermillionen. Sie entsprossen den männlichen und weiblichen Blastocysten, die man im rechten Augenblick der Retrogenese aus ihren Amnionshöhlen geholt und hierher umgepflanzt hatte. Wenn man sich recht zu Gemüte führte, daß diese weiten Flächen aufrechter Blüten die Toten waren, ganze menschliche Generationen von Toten, die diese letzte reinlichste Metamorphose durchgemacht hatten, so war es ein ergreifendes, ein feierliches Bild, obwohl auch hier die sonderbare Öde und Monotonie aller astromentalen Erscheinungen beklemmend vorherrschte. Doch selbst ein Widerspenstiger wie ich mußte zugeben, daß es schöner und bewußter war, als Marguerite in die Margueritenfelder einzugehen, als irgendwo knapp unter der Erdoberfläche verscharrt zu werden und zu verfaulen.
    »Warum gerade Margueriten?« fragte ich den Animator.
    »Sind sie nicht eine schöne, schlichte Spezies für den wertlosesten Rest, der vom Menschen übrigbleibt?« erwiderte er mit einer Gegenfrage. Und er fügte kichernd hinzu: »Sie heißen auch Orakelblumen, weil man sie befragt, ob Feinsliebchen vom Ammenhügel dich liebt, ein wenig oder gar nicht. Der Weg zum Ammenhügel steht immer frei, Seigneur …«
    »Das ist nicht der Grund«, sagte ich barsch.
    »Das ist er auch nicht, Seigneur. Wir sind seit einigen Dauern und Weilen ein bißchen heruntergekommen. Im Anfang pflanzte man und zog echte Sonnenblumen, groß wie Räder, beinahe schon wieder richtige Individuen. Wir Menschen sind Sonnenkinder, und darum frieren wir so sehr und so oft. Die Margueriten sind die Resultate eines Kompromisses. Wir können unserm Personal von Gärtnern und Obergärtnern die langen Wege nicht zumuten, und echte Sonnenblumen nehmen doppelt soviel Raum ein …«
    Wir gingen auf einem ziemlich breiten Pfad durch die Felder.
    Ich stützte B. H., der dumpf vor sich hin trottete. Der Animator vor uns drehte sich um. Der Ton seiner Worte, so schien es mir, enthielt einen leisen Spott:
    »Wie befinden sich die Herrschaften?«
    »Exzellent, brillant«, rief ich mit voller Stimme. »Wir werden nicht hinsinken und die Margueritenwelt mit unserm Blute rot färben.«
    »Sie haben gesehen, Seigneur, was seit undenklichen Zeiten nur Wenige gesehn haben«, erklärte der Weißbekittelte mit einer leichten Verbeugung.
    »Wir werden auch unserm Animator ewig dankbar sein dafür.«
    Ich ließ diesen lügnerischen Satz geradezu als Juchzer erschallen. Da raffte auch B. H. sich zusammen. Es rasselte in seiner Brust wie in einer Einwurfmaschine, und seine Stimme ahmte die meine nach:
    »Ewig dankbar … Ewig dankbar.«
    »So, und nun werden die Herren gewiß den Wunsch haben, heimzukehren und heiaheia zu machen anstatt der Ruhelosigkeit zu pflegen (sic!) …«
    »Keine Idee«, jodelte ich energisch. »Wir beginnen uns gerade wohlzufühlen. Wir sind olympische Besieger des Schlafes, wir zwei …«
    Ich schlug ein strackes Tempo an und schritt weit aus, denn in der Dämmerferne hatte ich eine hohe Mauer bemerkt, ohne Zweifel die Grenzmauer, und gerade diese wollte ich erreichen. Das aber, was geschah, war für mich ziemlich überraschend. Weder der Animator noch auch Badediener Eins und Zwei konnten mit mir Schritt halten, obwohl ich doch auch noch B. H. mitzuschleppen hatte. Sie begannen zu keuchen, dann zu quengeln und fielen immer mehr zurück. Diese Überlegenheit erfüllte mich geradezu mit triumphierender Wonne. Sie bewies mir, daß eher ich imstande war, die Kräfte meiner Wächter und Verfolger auszupumpen als sie die meinen. Wo ein schmaler Feldrain einmündete, der quer zur Grenzmauer

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