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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Wintergartens den Brüdern vom kindhaften Leben anvertraute. Damit zeigte sie, wo der richtige Weg lag und wo die Abirrung. Und durch dieselbe Erleuchtung machte sie die heilige Ha, die Sancta Illusio zur Schutzheiligen des Abgrunds der Kataboliten, dieser verkörperten Desillusionen.
    Den zwölf jungen Mönchen, die uns jetzt mit lachender Freundlichkeit umgaben, war die religiöse Betreuung jenes östlichen Flügels des Wintergartens anvertraut, dem wir soeben entkommen waren. Man weiß schon, daß sie nicht das Recht hatten, die Sterbesakramente zu vergeben, aber im kleinen Kirchlein außerhalb der Mauer die Beichte der Bedürftigen hörten und sie speisten. Wie viele Flügel der Wintergarten umfaßte und wie viele Brüder sich gleichzeitig im Dienste befanden, das konnte ich nicht eruieren. Ich erfuhr nur, daß diese soeben abgelöst worden waren und sich zur Heimkehr an die Erdoberfläche anschickten. Es war ihr wohlverdienter Feierabend nach harter Mühe in dem entsetzlichen Klima des Hohlraums. Man sah ihnen jedoch weder Erschöpfung noch Müdigkeit an, obwohl ihre braunen Kutten aus schwerem rauhen Stoff zu bestehen schienen. Weder die Ahnfrau noch wir brauchten ihnen erst begreiflich zu machen, warum wir hier Zuflucht gesucht hatten. Leute wie wir waren, um ein schiefes Bild zu verwenden, gewissermaßen ihr tägliches Brot, wenn nicht gar die Würze auf diesem Brot.
    »Das letzte Mal haben wir fünfzehn Stück hinaufgeschmuggelt«, sagte einer der Mönche, »in fünf Partien, ganz glatt und ohne Anstand durch eine ganze Kette von Nummernzählern …«
    »Und doch war’s das letzte Mal noch ein Kunststück gegen heute«, lachte ein anderer, »denn heute drängen sich Tausende bei den Stationen, die vor dem Kriege heruntergeflohen sind. Heute wird’s überaus leicht sein …«
    »Ein schierer Spaß«, bestätigte der Chor.
    Ein strahlender Jüngling mit hellen Blauaugen, ohne Zweifel der Obere dieser Gruppe, nahm das Wort:
    »Die Hauptsache ist dies: Niemals an den nächsten Augenblick denken. Wir werden gemeinsam die große Treppe ersteigen, Stufe für Stufe. Es gibt aber gar keine große Treppe, wenn man von jeder Stufe fest überzeugt ist, daß sie die letzte ist …«
    »Ich bin die große Treppe hinabgestiegen«, erklärte die Ahnfrau stolz.
    »Und nur nicht zurückblicken«, sagte einer, der still vor sich hin lächelte. Nur nicht zurückblicken im Hades. Woher kenne ich das, dachte ich. Immer wieder diese alten Geschichten. Laut aber sagte ich:
    »Es ist mir ganz unbegreiflich, warum die Direktion so streng ist und die Straßen durchaus nicht retour benützt werden dürfen.«
    »Aber das ist doch ganz klar«, erhielt ich zur Antwort. »Sie wollen keine Zeugen dafür haben, die ausplaudern, daß hier unten nicht alles so ist, wie die Prospekte und Artikel des Uranographen es verkündigen …«
    »Nein, nein, das ist nicht der wahre Grund«, schüttelte der Strahlende den Kopf. »Die Direktion schämt sich.«
    »Warum schämt sich die Direktion?«
    »Weil sie den Tod zum Menschenwerk, das heißt unvollkommen gemacht hat …«
    »Wenn es nach euch ginge«, grollte die Ahnfrau, »würden wir noch nicht einmal den Park des Arbeiters haben …«
    Ein Mönch, der wirklich aussah wie ein Kind, klatschte in die Hände: »Jesus Maria! Nur keine faulen Debatten! Laßt uns lieber ein bißchen Gebete tanzen und singen und die Sekunden durch innerlichen Freudengenuß in die Länge ziehen …«
    »Daraus wird nichts«, wehrte der Strahlende ab. »Unsere Freunde hier haben diese Luft und den Nebel und die Dämmerung satt und wollen hinauf. Wir werden oben zu guter Stunde ankommen, wenn die Waffen ruhen und die Gefahr vermindert ist …«
    Der Blick des jungen Fraters umfaßte die Ahnfrau, B. H. und mich mit solchem liebevollen Wohlwollen, daß mir ganz warm ums Herz wurde. Ich fühlte die knabenhafte Freundschaftlichkeit, die von diesem Manne und seinen Mitbrüdern ausströmte, eine Seelenkraft, die vermutlich in besondern Exerzitien erworben wurde. Vorhin, als alle zwölf die Gefahr, die wir noch zu bestehen hatten, so auffallend bagatellisierten, hatte ich ein ganz leises Unbehagen empfunden. Die allzu kindhafte Art, mit der sie uns die Angst vor dem Abenteuer auszureden versuchten, war eher dazu angetan, nervösen Leuten Angst zu machen. Jetzt aber empfand ich ein so tiefes Vertrauen zu dem Strahlenden und seinen Confratres, als wären sie keine Mönche, sondern die erfahrensten Menschenschmuggler. Sie

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