Stern der Ungeborenen
ist durchaus kein Mythus, sondern geschichtliche Wirklichkeit.« Und ich begann aufzuzählen: »Windspiele und Bernhardiner und Chows und kleine Pekinesen und Wolfshunde und Doggen und Dobermans und Terrier …«
B. H. winkte mir ab. Nun aber verneigte sich der Wortführer gegen mich:
»Ihnen, Seigneur«, sprach er, »der einer farbenreichen, formenstrotzenden Märchenwelt entsprossen ist, muß die unsere, die moderne Welt sehr verarmt erscheinen …«
»Nicht verarmt«, entgegnete ich, ebenso höflich wie er, denn ich wußte schon, daß man sich mit jedem Wort angenehm machen sollte. »Nicht verarmt, aber vereinfacht. Geht nicht der Aufstieg des Lebens vom ich-losen Gewimmel zur einmaligen Persönlichkeit, vom tausendfach wiederholbaren Cliché zur Rarität, von der ameisigen Emsigkeit zur ruhevollen Vereinzelung? In diesem Sinne scheint Ihre Welt, meine Herrschaften, hoch über unsere emporgestiegen zu sein, mag sie auch an Buntheit und Formenfülle verloren haben unter dem grellen und ewig wolkenlosen Himmel dort oben. Ist es nicht Wesen des Schöpferischen überhaupt, daß es sich im Anfang der wahllosen Üppigkeit befleißigt, um auf dem Höhepunkt, durch auswählende Kritik gezügelt, einer vornehmen Kargheit und fast heiligen Sterilität zuzuneigen? Wir nannten das seinerzeit den Weg zum Klassischen und Monumentalen.«
B. H.’s Blicke nahmen mich an die Kandare. Ich hatte mit meiner Kulturphilosophie wahrscheinlich wieder die Grenze überschritten. Das Wort ›heilige Sterilität‹ glich einem Tintenklecks auf einem säuberlichen Glückwunschbrief.
»Mein Freund bevorzugt seit jeher allgemeine Reflexionen«, sagte B. H. und lächelte begütigend nach allen Seiten, »das ist so seine Art.«
Der Hausherr Io-Fagòr aber senkte nachdenklich den Kopf. Mein physiognomisches Unterscheidungsvermögen hatte sich nun schon so weit entschleiert, daß ich genau empfand, dieses ist nicht nur der vornehmste, sondern auch der bedeutsamste Mann unter den Anwesenden. Es schien mir, als sei sein Gesicht blasser und männlicher als das der andern. (Die Glätte der Haut und das Fehlen der Rasur auf den Männergesichtern hatte anfangs einen störenden Eindruck bei mir hervorgerufen.) Io-Fagòr sprach mit einer tiefen Stimme, an meine Worte anknüpfend:
»Ich verstehe Seigneur sehr wohl. Er hat recht, wenn er das Erreichte lobt. Wir könnten ganz zufrieden sein mit dem Zustand unter unserm ewig grellen und ewig wolkenlosen Himmel, wenn nur die Natur sich überreden ließe, solch einem günstigen Zustand konservative Dauer zu verleihen. Aber die Natur führt immer etwas im Schilde. Und was den Menschen betrifft, unsre guten Familien sind nicht alle auf der Höhe ihrer Aufgabe. Das lässig häusliche Leben, die tatlos beschauliche Ruhe, die Freiheit von allen Zwecken und Zwängen, das heitere, absichtslose Spiel, alles was Gott uns nach so vielen Wirrsalen eines schier endlosen Altertums geschenkt hat, ohne daß wir ein schlechtes Gewissen darum haben müssen, es wird von unsern Kindern nicht mehr als Lust empfunden …«
Und indem er sich mit einer tiefen Verbeugung an die Ahnfrau wandte, der die archaisch stilisierten Locken der Silberperücke sich über den makellos zarten Nacken ringelten, schloß er:
»Ihre Generation, Madame, war die absolute Höhe, denn sie kannte keinen Zweifel.«
Die Ahnfrau lächelte mit blitzend weißen Zähnen und hellen Augen, die freilich recht tief in den Höhlen lagen. Ich empfand jetzt beim Anblick dieses schönen Gesichtes einen leichten Schreck, ich kann nicht sagen warum. Vielleicht ahnte ich einen Zynismus ohnegleichen, den die folgenden Worte der Ahnfrau preisgaben oder auch verbargen:
»Ja, was man gehabt hat, das hat man gehabt.«
Meine Worte schienen vorhin den Hausherrn bekümmert zu haben. Es war nun an mir, meinen Fehler zu verbessern:
»So wenig ich auch noch mit meinen eigenen Augen in Ihrer Welt gesehn habe«, begann ich, »so sehr kann ich doch bereits das Ungeheure beurteilen, das Sie in der Wohleinrichtung des Lebens geleistet haben. Es ist Ihnen gelungen, die menschliche Lebensdauer rund zu verdreifachen, und viel mehr als dies, es ist Ihnen gelungen, diesem Leben den häßlichen Verfall des Alters fernzuhalten. Einem Traum, der so alt ist wie der Mensch selbst, haben Sie, dem Augenschein nach, zur Erfüllung verholfen. Der Jungbrunnen der frühesten Sagen und Märchen ist Wirklichkeit geworden. Sie alle sind ewig jung und ewig schön wie die Götter
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