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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Herrschaft den Hof machend und, wie mir sofort auffiel, mit der durchtriebenen und käuflichen Naivität eines Kinderfilmstars etwa die Worte durcheinanderplärrend. Es war komisch, dieses seelisch verderbte Tier bediente sich eines affektierten Argots. Es bellte gewissermaßen in einem langgezogenen, neckischen Tonfall:
    »’n Tag, Mamachen, ’n Tag Papachen, da seid ihr ja. Wo wart ihr denn? Gibt’s nichts für mich? Heut ist doch erstes Hochzeitsfestmahl, da muß es was für mich geben. Vom Grünen bitte, vom Pistaziengrünen. Io-La hat mich heraufgeschickt. Wer ist denn alles da? Darf ich den Gummiball am Springbrunnen jagen? Bitte, bitte! Was ist das für ein Leben? Ihr wißt doch, Sur braucht seinen Auslauf. Haha, Hmhm!«
    Plötzlich witterte der Hund, daß es hier nicht mit ganz rechten Dingen zugehe. Er unterbrach sein kindlich tuendes Geplapper und prätentiöses Gekläff. (Zweiundfünfzig Jahre, wie man mir verriet, hatte er schon auf dem Buckel.) Er begann am ganzen Körper zu zittern, legte die Ohren zurück, klemmte den Schwanz zwischen die Hinterbeine und stieß, mich entsetzt anstarrend, ein langes, singendes Gewinsel hervor. Na endlich, dachte ich, bemerkst du etwas. Deine redlichen Vorfahren waren schlechtere Schauspieler und Deklamatoren als du. Aber ihr ungebrochener Instinkt hätte ein Gespenst sofort entdeckt, im Umkreis einer Meile mindestens, gleichgültig ob es im steifen Hemd erschienen wäre oder im Negligé seines Kirchhoflakens.
    Dem Hundegebell entrang es sich winselnd:
    »Mamachen, Papachen, was ist das, was habt Ihr mir da wieder angetan? Den da soll es doch gar nicht geben! Den gibt es ja auch gar nicht. Der gehört nicht her zu uns. Laßt mich fort …«
    Trotz dieser artikulierten Worte schlug die echte Tierangst jetzt über seiner durchtriebenen Angemenschtheit zusammen. Ich aber, bestürzt über meine Situation und angeekelt sowohl von der Kalfakterei als von der Feigheit des Hundes, brummte in mich hinein:
    »Vor mir muß sich niemand fürchten, du, außerdem bin ich ja nicht wirklich tot. Ich atme, ich esse, wie du siehst, lieber Hund.«
    Der Hausherr, Io-Fagòr, noch verlegener als ich, setzte dem Zwischenfall ein rasches Ende:
    »Hinaus mit dir, Sur! Winsle unsern Gast nicht an! In den Garten, du Dummkopf, und sei pünktlich zurück …«
    Ohne Abschied entwich Sur. So menschlich er sich auch gab, er hieß nur Sur. Das Präpositiv Io, das Ich bedeutet und mithin Unsterblichkeit, wurde ihm trotz allen Fortschritts und aller Verhätschelung doch nicht zugebilligt.
    »Entschuldigen Sie, bitte, Surs Taktlosigkeit«, wandte sich Io-Fagòr zu mir, »es gibt eben doch Grenzen der Hundeerziehung, selbst bei geistig und moralisch befähigteren Exemplaren. Aber gewisse Demokraten wollen es nicht wahrhaben. Sie sind verbittert, daß zwischen Menschen- und Hunderechten Unterschiede bestehn. Ich erinnere nur an die berühmte Publikation: ›Der Unfall, als Hund geboren zu werden, und die Verpflichtung des Menschengeschlechts zur Ersatzleistung an die betroffene Kreatur‹.«
    »Das geht entschieden zu weit«, gelang es mir noch zu sagen. Darauf aber stieß mir ein gesellschaftlicher Unfall zu, der mich und infolgedessen auch B. H. in die schmählichste Lage brachte: Ich wollte klipp und klar vor dem Hausherrn bekennen, was in Bezug auf Sur meine bestimmte Empfindung und feste Ansicht war: »Ihr Hund, mein Herr, ist ein sehr schlechter Charakter.« Plötzlich aber war ich der Sprache dieses Zeitalters, in dem ich so unerwartet mich auf Besuch befand, ganz und gar nicht mehr mächtig. Während ich noch knapp vorher mit den wunderschönen Herren und Damen reifen Alters hier aufs unbewußteste in ihrem Idiom parliert hatte, als sei es meine eigene Muttersprache, brachte ich plötzlich keine Silbe dieses Idiom mehr über die Lippen und verstand auch keine Silbe mehr. Es war ein grauenhaftes Impotenzgefühl, an das ich mich noch jetzt erinnern kann. Das Herz schlug mir bis zum Hals, und ich glaubte zu ersticken.
    »Votre chien«, stammelte ich zuerst französisch, »a un très mauvais charactère.«
    Der Mann sah mich verdutzt und verständnislos an. Niemand antwortete. Da versuchte ich’s auf italienisch:
    »Il Suo cane a un molto brutto carattere.«
    Die Betretenheit rings wuchs. Ich murmelte mechanisch den Satz in ein paar andern Sprachen, in denen ich mich dank meines langen Exils ein wenig ausdrücken konnte. Es hat gewiß geklungen wie in der Berlitz-School: »This dog has a very bad

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