Stern der Ungeborenen
flüsternd Aufklärung:
»Da hast du’s selbst gehört«, grollte ich. »Man wundert sich darüber, daß ich die wichtigsten Dinge nicht weiß. Man kann es einfach nicht begreifen, daß du mich ohne alle Informationen läßt. Sei doch bitte nicht so zurückhaltend oder eifersüchtig …!«
Er sah sich zuerst betreten um, ehe er mich in einen der kleinsten Nebenräume lenkte, wo wir Hoffnung hatten, allein zu bleiben. Bevor wir aber dieses auffällig dunkle Salönchen erreichten, wurde ich von einigen der Herren angeredet und höflich ins Gespräch gezogen. Es war das leerste Gespräch, das sich denken läßt. So spricht man eben mit Materialisationen, und so antworten Materialisationen; dabei muß ich bekennen, daß die Gesellschaft mit vornehmstem Takte das Ungewöhnliche meiner Lage übersah und mir mit keinem Laut und Blick zu verstehen gab, daß ich keineswegs zu ihr gehörte, sondern lediglich aus der multituden Phantastik der Urwildnis in die große Vereinfachung der echten Kultur durch einen Lockruf verschlagen worden war. So kam man mir mit größter Eleganz zuvor, mich allzu minderwertig zu fühlen.
Und dann saß ich endlich mit B. H. im bernsteinfarbenen Dunkel des winzigen Salons, der eigens für Geheimgespräche unter vier Augen bestimmt zu sein schien. Ich in meinem alten Frack, er in seiner kopierten Uniform als Leutnant des Ersten Weltkrieges, bildeten eine Insel, ein fossiles Einsprengsel des zwanzigsten Jahrhunderts in einer unermeßlich weit vorausgestürmten Zeit. Das ist beinahe schon mehr als ein Vergleich, denn wir beide aus der fernsten Vergangenheit saßen wirklich wie zwei ausgestorbene Insekten im Bernstein der Gegenwart. Es herrschte um uns die tiefste Stille, da kein Mensch heutzutage den Ton zu erheben pflegte, da kein rauher Kehllaut, kein gackerndes Gelächter, kein zackiges Durcheinander von Worten sich losrang, sondern die lebhafteste Unterhaltung selbst einer zahlreichen Gesellschaft wie hinter Stimmschleiern geführt wurde. Warum im übrigen mein Freund, der Wiedergeborene, Wickelgamaschen und jene alte Militärbluse trug, vergaß ich zu eruieren, obwohl ich es mir immer wieder vornahm. Ich muß gestehen, ich fühlte eine unbeschreibliche Entspannung, ja Erschlaffung, als ich mich jetzt wieder allein fand mit meinem lieben Freunde B. H. Niemand nämlich, der es nicht erlebt hat, – und wer hat es außer mir erlebt? – kann die Anstrengung ermessen, welche der Aufenthalt in einer Zeit- und Raumfremde so hohen Grades von Leib und Seele fordert.
»Also, was ist es, was ich nicht weiß, und was du mir unterschlägst?« fragte ich und mußte ein krampfhaftes Gähnen der Erschöpfung unterdrücken.
»Der Dschungel« versetzte B. H. ebenso einsilbig wie dunkel.
»Der Dschungel …? Was verstehst du …«
»Wahrscheinlich etwas anderes als du«, unterbrach er mich, und auf seinen Zügen malte sich deutlicher Abscheu: »Ich aber verstehe darunter das säuische Getümmel … Ich verstehe darunter den betäubenden Lärm von Ringelspielen und Jahrmarktsorgeln … Und Gockelhähne und Hühner halten sie auch.«
»Warum zum Teufel sollen sie keine Gockelhähne und keine Hühner halten …?«
»Ja, das muß ich dir wohl übersetzen … Was würdest du zu deiner Zeit über einen Bauernhof gedacht haben, auf dem man Aasgeier oder mörderische Kondore als Haustiere züchtete …?«
Nach einigem Hin und Her erfuhr ich fürs erste Folgendes: Noch vor einigen Generationen und Jahrhunderten war der ganze Planet, bis auf die zum Teil eingeschrumpften Ozeane und seine toten oder unbewohnbaren Flächen, der herrschenden Gesittung unterworfen und mit jenem ergrauten, aber federnden Rasenteppich allüberall bedeckt gewesen, der mir bei Betreten des Zeitalters zuerst aufgefallen war. Seit geraumer Zeit jedoch hatte sich dieses Bild verändert. Anfangs, vornehmlich »an den Rändern« der Kultur, war etwas aufgebrochen, was mir in solchen unbestimmten und Abscheu verratenden Worten mitgeteilt wurde wie: »Dschungel« oder »säuisches Getümmel«. Vorstellen konnte ich mir darunter nicht sogleich etwas, ich verstand aber bald, daß es sich bei dieser unheimlichen Sache nicht etwa nur um eine vegetative Unregelmäßigkeit handelte, sondern ebenso um eine menschliche Abirrung. Das Vegetative freilich blieb Ursache und Anstoß des späteren Mißgeschehens. Unerklärbar für die weltliche Wissenschaft und ihres Widerstandes spottend, hatten sich an verschiedenen Stellen der Erdoberfläche
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