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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Sümpfe gebildet, die sich jedoch bald in blühende Wildnisse verwandelten, in smaragdgrüne Oasen, wo es wieder bergähnliche Erhebungen gab, duftige Täler, Seen, Flüsse und Bäche und hohe Bäume. Die Augen der Zeitgenossen wurden zu ihrem eigenen Entsetzen angezogen, wenn sie am Horizonte diese blauenden und so gefährlichen Eilande gewahrten.
    »Und was weiter?« wunderte ich mich, als ich es bis zu diesem Punkte erfaßt hatte. »Ihr tut ja so, als ob diese prachtvollen Unterbrechungen eurer öden Ebene Blattern und Aussatz wären.«
    »Sie
sind
Blattern und Aussatz«, verwies mich B. H. »Weißt du denn nicht, daß das Allerschlimmste auf dieser Welt Rückfälligkeit ist und Verführung zur Rückfälligkeit?«
    Ich erfuhr aus abgerissenen Worten und in Eile, daß dieser Inseln immer mehr würden, daß sich sogar hier in der Nähe Californias ein solcher Dschungel befinde, daß dort nicht nur eine abscheuliche Fauna und Flora entstanden, oder genauer: wiederentstanden sei, sondern, gräßlich zu sagen, ein neuer Menschenstamm, gezeugt und geboren von Entsprungenen, von Mißratenen, die der Lockung zum Rückfall nicht hatten widerstehen können. Äffische Wesen seien daraus geworden, Zwerge oder Riesen, ungleich dem edlen Mittelmaß, das die Menschheit erarbeitet hat, Wilde, ein säuisches Getümmel, das Junge wirft wie die Katze und sie auch nicht länger trägt als diese …
    »Es muß doch eine Kleinigkeit für euer Gouvernement sein«, zuckte ich die Achseln, »mit diesen bedauerlich Rousseau’schen Erholungsstätten von der Kultur fertig zu werden. Besitzt ihr nicht die entsprechenden Todesstrahlen, die im Augenblick einen solchen Dschungel mit Gockelhähnen und Hühnern wegrasieren können?«
    Er griff an die Kehle und starrte mich erbleichend an:
    »Was sagst du? Hast du denn noch nicht gehört, daß wir nicht imstande sind zu … etwas Lebendiges zu beseitigen?«
    Es war ihm im letzten Augenblick gelungen, das Wort »töten« zu vermeiden.
    Hier wurden wir unterbrochen. Der Wortführer, dieser unterhaltsame und fürsorgende Abbe des Hauses, stand in der Tür des kleinen Salons mit seiner ein wenig zitternden Silberperücke und bat uns unter vielen Entschuldigungen in den Saal. Dort trat uns Io-Rasa, die schöne Brautmutter entgegen. Ich fühlte mich gestört, denn erstens wäre ich recht gern ein bißchen länger im Bernstein eingesprengt gesessen, und zweitens war nun meine Neugier und Forscherlust so weit erwacht, daß ich schnell mehr wissen wollte. Neben dem »Arbeiter« bedrängte mich der »Dschungel« am stärksten. Hoffentlich konnte ich meinen Aufenthalt hier lange genug ausdehnen, um einen Blick auf jenen Dschungel zu werfen, von außen wenigstens, wo durch Mithilfe der Natur der Mensch wieder einmal der Bürde seiner guten Manieren ledig geworden war. Da ich es nie allzusehr mit den Wohlerzogenen gehalten hatte, so mußte ich fürchten, daß der Dschungel mir nicht genug Grauen einjagen würde.
    Die reizende Brautmutter durchdrang meine Geistesabwesenheit mit einem Lächeln:
    »Unsre Kinder«, wisperte sie, »sehnen sich schon sehr danach, Sie zu begrüßen, Seigneur. Die Kinder sind ja schließlich die Hauptpersonen dieser Tage, und Ihr gütiges Erscheinen, für das wir nicht genug danken können, ist als Geschenk für Io-Do und Io-La gedacht.«
    Die Dame deutete auf einen kleinen und sichtlich bescheidenen Mann in Silberkopfputz. Es war Io-Solip, der Vater des Bräutigams:
    »Mein lieber Gegenschwieger hier«, konversierte Io-Rasa, »wird die seltene Ehre haben, Seigneur, Sie vorerst zu Io-Do, seinem Sohn, zu führen. Sie werden nicht nur einen charmanten jungen Mann kennenlernen, sondern einen Sammler und strebsamen Studenten der Historie.«
    B. H. und ich folgten dem zarten und bescheidenen Herrn Io-Solip, der mir mit einer schützenden Handbewegung voranschritt, als müsse er mich davor bewahren, auf dem unbekannten Terrain dieser Zeit auszugleiten. Später erfuhr ich, daß soeben der Großbischof seinen Besuch angesagt hatte. Dieser Besuch war ein Teil der Festordnung. Da es sich um ein großes Haus handelte, sollte der Kirchenfürst am übernächsten Tag die Trauung selbst vornehmen. Die Hausfrau hatte mich geschickt aus den Empfangsräumen entfernt. Die Kirche nämlich verwarf, heute wie damals und immer, jede Art okkultistischer Aktivität als eine Entweihung des echten mystischen Strebens und als ein unerlaubtes Forschen im Verbotenen. Da diese Aktivität aber in letzter Zeit

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