Stern der Ungeborenen
Sechsundzwanzigjährigen, »und jetzt wird uns mein Kindchen nicht länger kränken, sondern sich umdrehen …«
»Es wäre eine Ehre für mich«, erklärte ich nicht minder steif und ledern als vorhin. Zugleich fühlte ich widerstrebend, daß Lala mich mit in den Kampf gezogen hatte.
»Wer sagt, daß ich mich nicht fürchte, Sie zu sehen«, erklärte die Braut plötzlich, indem sie die hölzerne Schlummerrolle an sich zog, und es klang aufrichtig und kleinlaut zugleich.
Surs, des Hundes, verkrochene Stimme winselte von irgendwo unten herauf:
»Fürchten, natürlich, ja, ja, Lala, fürchten, kleines Mamachen, Sur versteht’s.«
Io-Do, der Bräutigam, wird’s nicht leicht haben. Die Sache begann mich zu langweilen, nein, schlimmer, zu sekkieren. Auf der einen Seite, dachte ich, lassen sie die Sterne durcheinander hüpfen und projizieren ihre dynamischen Tapeten an die Wand. Auf der andern Seite sind ihre Frauen so altmodisch hysterisch wie die unsern etwa zur Zeit des Fin de Siècle gewesen sind. Sechsundzwanzig, da waren unsre Mädchen schon in hoher Vollreife. Freilich, dieses Alter entspricht jetzt unsern Fünfzehnjährigen oder noch jüngeren Backfischen. Man muß deshalb auf weitere kindliche Ungezogenheiten gefaßt sein. Hätte der Fratz eine Pflicht und überhaupt etwas zu tun, er würde räsonabler sein. So ist das höchste, was sie erreicht haben, die Überwindung der Arbeit, dem Anschein nach ihr tiefster Fluch. Es muß ein historisches Gesetz geben, kraft dessen der Mißlungenheitskoeffizient des Lebens, das was die Religion das »Übel« nennt, unter allen Formen, Zuständen und Veränderungen stets in der gleichen Quantität und Intensität erhalten bleibt. Dieser wichtige Gedanke begann mich zu bedrängen. Meine Augen aber starrten auf die Wand, wo die visionäre Tapete immer blasser und blasser zu werden begann. Als ich den Blick wieder dem Hochlager zuwandte, hatte die Braut sich längst umgedreht.
Wenn es an irgendeiner Stelle dieser Erzählung empfehlenswert ist, die Muse um Beistand anzurufen, so hier. Jedweder erfahrene Leser, der ja zumeist eine Leserin ist, weiß recht wohl, daß des Autors gedruckte Behauptung, irgend jemand, ob Mann, ob Frau, sei wunderbar schön, nicht viel bedeutet und sich nur recht blaß auf die Einbildungskraft überträgt, und zwar um so blässer, je größer der Aufwand entzückter und um die Schilderung der Schönheit bemühter Worte ist. Schönheit ist nicht einmal für Gott eine unbeweglich unbewegte Tatsache. Für den Menschen gar ist sie ein lebhafter Vorgang, der sich zwischen der schönen Erscheinung und ihrem Betrachter abspielt. Sie ist ein ähnlicher Vorgang wie der zwischen Sonne und Brennglas. Nur wenn der Sonnenstrahl in den Fokus des Brennglases tritt, entsteht eine Flamme. Dies aber soll nicht heißen, daß ich Feuer fing an der Schönheit des Mädchens Lala. Ich war ein temporärer wiedererweckter Toter, ein Revenant, den man durch die frevelhaften Künste eines unglaublich hochentwickelten Spiritismus wieder in den Besitz seines Körpers gesetzt hatte. Dieser Körper funktionierte nicht schlechter als früher, und doch, konnte ich seiner ganz sicher sein? Wenn ich auch nicht alt war, so war ich doch nicht jung, nicht mutig, nicht unmoralisch, nicht geschmacklos genug, um mit der bestürzten Verwunderung, mit der mich der Anblick der Schönheit erfüllte, auch nur jene vagen Wünsche zu verbinden, die jede hübsche, frisch auf der Straße dahinstöckelnde Frau im normalen Manne erweckt. Ich kann sogar mit ruhigem Gewissen versichern: das Gegenteil geschah. Ich war gänzlich leer, gänzlich teilnahmslos und ohne jede sinnliche Aspiration. (Es sollte überflüssig sein, dieses Selbstverständliche niederzuschreiben.) Ich empfand keinerlei Zuneigung zu Lala, weder eine väterlich noch onkelhaft verkleidete. Meine Gleichgültigkeit war nur von jener bestürzten Verwunderung beleuchtet, daß in diesem Zeitalter der jugendschönen Ahnfrauen sich ein Mädchenantlitz dennoch so unbegreiflich hold abheben könne. Wenn es in mir auch keine Flamme gab und geben konnte, so hatte der Strahl doch den Brennpunkt berührt. Ich habe schon einmal davon gesprochen, daß unter all den alterslos schönen Menschen, die mir bisher begegnet waren, sich doch keine einzige »strahlende Schönheit« befand. Hier hatte ich sie vor mir.
Wie Bräutigam Io-Do einen Goldhelm, so trug Io-La, die Braut, einen enganliegenden, ebenholzschwarzen Helm, der die Wellen und Locken
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