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Stern ohne Himmel

Stern ohne Himmel

Titel: Stern ohne Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Ossowski
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wiederholte die Bäuerin und sah kopfschüttelnd über die hohen Wände, »dann wird der Bauer wohl doch sterben.«
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Nagold. Vielleicht konnte er der armen Frau wenigstens mit einem Rat zur Seite stehen.
    Sie legte ihre Hand auf seinen Arm und zog ihn vor die Tür. »Wenn Sie mir helfen, wenn Sie mir eine Unterkunft würden besorgen, Herr. Nur damit der Bauer operiert könnt’ werden. Ich würde Ihnen dafür mein’ Wagen mit der Liese geben. Vielleicht wollen Sie auch noch fortmachen, wenn die Russen kommen?«
    Sie zog Nagold um den Wagen herum und versuchte ihm die Flucht schmackhaft zu machen. Er solle ihr doch seine Wohnung geben und einen Doktor sagen, der ihren Mann operierte.
    »Liebe Frau, was soll ich denn mit Ihrem Pferd und Wagen? Was reden Sie da für einen Irrsinn? Sie müssen zusehen, in die nächste Stadt zu kommen und in ein Krankenhaus. Das hiesige ist kaputt.«
    Ihr Blick ging wieder zum Alumnatsgebäude, als müsste dort die Rettung für den Mann sein.
    »Ich geb Ihnen meinen Wagen umsonst, Herr, und das Pferd dazu.«
    »Ah, das ist ja interessant. Pferd und Wagen umsonst! Will sich der Herr Musiklehrer davonmachen?«
    Jähde stand hinter Nagold, in der Hand noch immer Kimmichs Noten. »Sind die Koffer vielleicht schon gepackt?«
    Nagold, der im ersten Augenblick auflachen wollte, fuhr der Schreck in die Glieder. Wenn Jähde Margots Fluchtplänen auf die Spur gekommen wäre? Er sah forschend in das Gesicht seines Vorgesetzten.
    Die Bauersfrau hatte nichts begriffen. Sie hörte Nagolds erklärenden Worten zu und entnahm daraus, dass er den Wagen bestimmt nicht haben wollte. So zupfte sie Jähde am Ärmel.
    »Vielleicht wollen Sie mein’ Wagen haben und meine Liese dazu«, sagte sie, aber sie erkannte schnell die Hoffnungslosigkeit ihres Angebots. Da riss sie in ihrer Verzweiflung die Plane hoch und schrie: »Da seht doch selbst, ihr Herren, wie krank der Bauer ist!«
    Jähde und Nagold starrten in den Wagen. Dort lag ein Mann auf die Seite gerollt, Stroh in den Bartstoppeln und einen Schnapsrest über das Gesicht gegossen. Er war tot. Die Frau beugte sich über ihn. Sie sammelte das Stroh von seinem Gesicht, genau wie sie es vorhin getan hatte. »Vielleicht«, sagte sie leise, »vielleicht nimmt einer der Herren mein’ Wagen und meine Liese für einen Sarg und ein Stückel Erde, damit ich den Bauern begraben kann?«
    Jähde gab der Frau ein paar freundliche Worte und schlug ihr vor, sich im Sammellager eintragen zu lassen. Nagold ging zum Alumnat zurück. Jähde ließ ihm keine Zeit. Voller Misstrauen hatte er Nagolds Erschrecken vermerkt, als er ihn auf die gepackten Koffer angesprochen hatte. Warum sollte jetzt nicht eine unauffällige Kontrolle am Platze sein?
    »Ich möchte Sie sprechen, Herr Nagold, können wir in Ihre Wohnung gehen?«
    Ohne die Antwort abzuwarten, stieg Jähde die Stufen hinauf, durch den Flur bis zu Nagolds Wohnung.
    Frau Nagold war es noch nicht gelungen, die alte Ordnung wiederherzustellen. Als die Flurtür klappte und ihr Mann mit Jähde vor ihr stand, nützte es wenig, dass sie gerade noch ein paar Kleider unter die Sofadecke stecken konnte. Die Konservendosen, die sie geschickt mit dem Fuß unter den Schrank geschoben hatte, rollten langsam und polternd Herrn Jähde vor die Füße. Er tat, als wenn er ihr Entsetzen nicht wahrgenommen hätte, und bückte sich höflich.
    »Aha, Schweineschmalz«, sagte er sanft.
    Er ging im Zimmer umher und schaute sich um. Er sah auch die ausgebeulte Sofadecke, unter der die Kleider lagen, den Koffer, die aussortierten Papiere und die Asche vor dem Ofen.
    »Einige Sachen verbrannt, ja?«, sagte er wieder mit der liebenswürdigen Stimme. Er wog die Konserve in den Händen wie ein Jongleur vor dem Auftritt.
    »Was wollen Sie eigentlich?«, fragte Nagold mit erzwungener Ruhe. Er konnte Margots Angst nicht mehr mit ansehen.
    Hypnotisiert war sie Jähdes Bewegungen gefolgt, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, als erwarte sie Schläge.
    Jähde knallte die Konserve auf den Tisch. »Das kann ich Ihnen genau sagen! Ich möchte Sie daran erinnern, dass ein Verlassen der Stadt seit einer Woche nur noch mit der persönlichen Genehmigung des Kreisleiters statthaft ist. Oder ist Ihnen diese Verordnung entgangen?«
    »Natürlich nicht«, sagte Nagold.
    »Na und?« Jähde zeigte auf einen gepackten Koffer, »warum das alles, wenn Sie es wissen? Es ist Ihnen doch bekannt, dass die Strafen für eine Widersetzung

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