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Stern ohne Himmel

Stern ohne Himmel

Titel: Stern ohne Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Ossowski
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dieser Maßnahmen sehr hart sind?«
    »Mein Mann hat damit überhaupt nichts zu tun«, hauchte Frau Nagold. Sie stellte sich schützend neben Nagold und sah Jähde mutig in die Augen. »Ich habe gepackt, weil ich Angst bekam. Mein Mann wusste es nicht. Als er vorhin dazukam, hat er gesagt, ich solle es bleiben lassen. Es wäre nicht nötig und wir hätten hier unsere Pflichten.«
    Sie knäulte ihr Taschentuch von einer Hand in die andere. »Und außerdem pack ich ja schon wieder alles aus«, setzte sie hinzu.
    »Woran soll ich das denn erkennen?«, fragte Jähde spöttisch. Nagold war in der Zwischenzeit im Zimmer umhergegangen und hatte wie am Vormittag mit Aufräumen begonnen. Die Bücher auf den Schrank, daneben sein Bild, er in Uniform, lachend und breitbeinig auf zwei gesunden Füßen stehend. Er nahm es noch einmal herunter und betrachtete es.
    »Glauben Sie eigentlich, mit Misstrauen Zuversicht zu verbreiten?«, fragte er und stellte das Bild wieder neben die Bücher. Er reichte Margot den Stapel Wäsche, der immer noch auf der Erde lag.
    »Bring das ins Schlafzimmer.«
    Frau Nagold verschwand, froh, der gefährlichen Auseinandersetzung entrinnen zu können.
    Nagold hatte ruhig und gelassen gefragt, ohne eine Spur von Feindseligkeit. Es klang eher wie Neugier. Jähde setzte sich unaufgefordert und begann zu rauchen.
    »Mein lieber Nagold«, sagte er. Die Zigarette tanzte bei jedem Wort in seinem Mundwinkel. »Meinen Sie, es macht mir Spaß, jeder Kleinigkeit auf den Grund zu gehen? Manchmal wäre es mir auch lieber, den Dingen ihren Lauf zu lassen, wie Sie es tun. Aber wenn ich jetzt nicht die Zügel eisern in die Hand nehme, wenn nicht jeder Verdacht überprüft wird und auch der geringste Widerstand augenblicklich bestraft wird, dann laufen wir einer tatsächlichen Gefahr entgegen.«
    Jetzt erst nahm er die Zigarette aus dem Mundwinkel. »Und ich, Nagold, gehöre zu den Männern, auf die sich der Führer in der Heimat verlassen kann.«
    Jähde hob seine Stimme, als erwarte er von Nagold eine Zustimmung. Sie kam auch, aber anders, als Jähde sie erwartet hatte.
    »Das bestreitet kein Mensch«, sagte Nagold gleichgültig, »aber warum Sie nun ausgerechnet mich und meine Frau auf irgendwelche Widerstände prüfen wollen, verstehe ich nicht.«
    Jähde spürte den Spott und bereute seine Offenheit. »Leider habe ich meine Gründe«, sagte er eisig.
    Nagold, der ihm die ganze Zeit gegenübergestanden hatte, sah in fragend an.
    »Also«, ging Jähde zum Angriff über, »dann möchte ich wissen, warum Sie auf der Straße stehen, mit Flüchtlingen palavern, anstatt die angesetzte Chorprobe zu halten, und weshalb Ihre Frau Koffer packt?«
    Nagold fühlte seinen Willen unter Jähdes drohenden Fragen zusammensacken.
    »Antek, Paule, Willi und Zick fehlten«, gab er gehorsam Auskunft. »Ich wusste nicht, wo sie waren, und ohne ihre Stimmen kann ich nicht mit der Probe beginnen.«
    »Wissen Sie jetzt, wo die Jungen waren?«
    »Nein«, gab Nagold zögernd zu, und sein Gesicht verdüsterte sich, weil er an die beschämende Auseinandersetzung mit den Jungen dachte.
    »Aber ich weiß es!«, sprach Jähde sehr laut.
    Frau Nagold öffnete vorsichtig die Tür, um zu hören, was sich im Wohnzimmer abspielte.
    »Sie?«, fragte Nagold voller Verwunderung.
    Jähde hielt ihm die Noten so dicht vor das Gesicht, dass er die Schrift kaum lesen konnte.
    »Bei Kimmich waren die Jungen! Dort haben sie seine neuesten Kompositionen einstudiert und anschließend gleich die Noten mitgebracht, damit es die andern auch lernen. Sie haben das genau gewusst, Nagold. Sie stecken mit Kimmich seit Jahr und Tag unter einer Decke.«
    Nagold war Jähdes Gefuchtel ausgewichen. »Nein«, sagte er, »ich glaube nicht, dass die Kinder dort waren.« Es las die Aufschrift der Blätter. »Fragen Sie doch Herrn Kimmich selbst.«
    »Das werde ich auch tun. Dazu brauche ich nicht Ihre Aufforderung.«
    Ehe Nagold noch zu einer Antwort kam, stürmte Jähde aus dem Zimmer.

Nach seiner Entlassung aus der Haft war es Kimmich nie wieder gestattet worden, das Alumnat zu betreten. Im Allgemeinen wurde es so gehandhabt, dass die für den Chor geschriebenen Noten von Schülern abgeholt wurden. Als an diesem Nachmittag ein Junge mit der Nachricht kam, er hätte sich sofort bei Rektor Jähde zu melden, wusste Kimmich, dass Jähde in den Besitz seiner Motettennoten gekommen war.
    »Jetzt gleich?«, fragte er und hoffte, Zeit zu gewinnen.
    Der Junge bejahte eilfertig. Der Herr

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