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Stern ohne Himmel

Stern ohne Himmel

Titel: Stern ohne Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Ossowski
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Satz stürzte er sich auf Abiram, der die Uniform zwischen sich und das Tier hielt. Polternd schlug Abiram gegen die Tonnen. Der alte Mann kam aus der Tür. »Hierher, Harro!«
    Der Hund sprang, die Jacke zwischen den Lefzen, zu seinem Herrn.
    Abiram sah in die Mündung einer Pistole.
    Der Mann nahm dem Hund die Jacke ab. Er betrachtete sie nachdenklich. »Abgehauen?«, fragte er.
    Abiram schwieg.
    »Hast Recht, Junge, mit Kindern gewinnt man keinen Krieg.«
    Er warf die Jacke verächtlich in die Hütte, dort, wo der Hund schlief.
    Er zeigte auf die Fässer. »Benzin für die hohen Herren, wenn der Iwan kommt.« Der Alte lachte. »Das Spiel ist aus. Und jetzt ab mit dir, eh man dich sieht!«
    Er winkte Abiram mürrisch zu, während der Hund an der Wurst schnupperte.
    In diesem Augenblick begannen die Glocken zu läuten. Abiram, der keinen anderen Ausweg wusste, floh in die Kirche.
    Der Chor sang den Schlusssatz und die Orgel setzte ein. Langsam erhoben sich die Menschen von ihren Bänken. Abiram wurde mit der Flut der Kirchenbesucher aus der Tür gedrückt. Hier durfte er nicht bleiben. Jeden Augenblick konnte Willi auftauchen. Er lief die Straße entlang bis zum Markt, wo sich ein Treck zum Nachtquartier sammelte, und mischte sich unter die Flüchtlinge. Vielleicht war dies eine Möglichkeit, am nächsten Morgen unbemerkt die Stadt zu verlassen.
    Er sah eine junge Frau mit zwei kleinen Kindern an der Hand. Sie trug einen karierten Bettbezug auf dem Rücken, in dem sie ihr Hab und Gut aufbewahrte.
    »Geben Sie her, ich trag Ihnen das!«, sagte Abiram.
    »Warum denn?«
    »Weil Sie müde aussehen.«
    Das hatte der jungen Frau noch niemand gesagt. Wer kümmerte sich schon darum, ob jemand müde aussah? Sie lächelte und ließ den schweren Sack vom Rücken gleiten.
    »Hast du kein Gepäck?«
    Abiram warf sich den Sack über und verschwand beinah darunter.
    »Nein«, ächzte er.
    Das Bündel war viel zu schwer.
    »Und deine Leute?«
    »Weg, weiß nicht wo. Ich hab sie schon in Breslau verloren.«
    »Breslau, bist du auch von da?«, fragte die junge Frau.
    Während sie sich langsam nebeneinander vorwärts schoben, erzählte sie von ihrer Flucht. Wie sie erst mit viel Gepäck per Bahn gereist seien, aber schon nach hundert Kilometern wieder rausmussten. Dann hätte sie sich das Wichtigste in den Bettsack gesteckt und sei ein Stück im Güterwagen gefahren. Aber dann hätte auch der Halt gemacht. Die Gleise waren gesprengt. Seitdem wäre sie zu Fuß unterwegs. Wie lange? Schon viele Wochen. Wer wüsste schon, wie weit es noch ginge.
    Sie waren in der Nähe des Alumnates angelangt und mussten sich in einer Reihe hintereinander aufstellen. Abiram zog sich den Sack, so weit es ging, über den Rücken. Sein Kopf war kaum zu sehen.
    »Was machen die hier?«, fragte er die Frau.
    »Abzählen für die Quartiere. Kennst du das nicht?«
    »Ich hab mir mein Quartier meist allein gesucht«, sagte Abiram schnell.
    »Das kann ich nicht mit den Kindern. Aber bleib ruhig hier, in den Massenquartieren gibt es immer Suppe oder Tee.«
    »Fünfundsiebzig, sechsundsiebzig, achtundsiebzig«, zählte die NSW-Schwester und Abiram war durch.
    »Der Letzte«, rief sie einem Mann zu.
    »Gehörst du mit dazu?«
    Die Frau antwortete: »Ja, zu mir!«
    »Also ab, dort lang.« Die Schwester lief neben Abiram her.
    »Wo geht’s denn hin?«
    »Hier in das große Haus. Da ist Platz und sauber ist es auch«, sagte die Schwester freundlich, »das ist das Alumnat von unseren Chorschülern.«
    Abiram ließ den Sack fallen. Er stand direkt vor den Stufen des Alumnates.
    »Das kann nicht sein«, murmelte er.
    Die Schwester legte freundlich ihre Hand auf seine Schulter.
    »Na, was hast du denn, junger Mann? Das ist ein schönes Quartier. Nach dem, wie du aussiehst, hast du’s schon lange nicht gut gehabt!«
    »Komm«, rief die Frau, eines ihrer Kinder zerrte ihn an der Hand.
    »Nein, ich möchte doch lieber woanders …«, er sah sich um.
    Die Schwester wurde ungeduldig. »Hotelwünsche gibt es bei uns nicht. Du bist eingeteilt und du gehst mit!«
    Sie lud ihm den Sack wieder auf den Rücken.

Jähde hatte auf der Empore der Kirche mit dem Verhör begonnen. Genau die vier Jungen behielt er zurück, die die gestrige Chorprobe versäumt hatten. Nagold nahm auf der Orgelbank Platz, während die Jungen sich in strammer Haltung nicht weit von der Galerie aufstellen mussten. Der Einzige, der diesem Verhör mit Gleichmut entgegensah, war Willi. Die Aufregung der

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