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Stern ohne Himmel

Stern ohne Himmel

Titel: Stern ohne Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Ossowski
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Artilleriefeuer aus der Ferne, machte Nagold ruhig. Er atmete tief.
    »Ich opfere gern zehn Unschuldige«, sagte Jähde, »wenn ich damit einen Schuldigen erwische! Merken Sie sich das. Das sollte auch Ihre Ansicht in unserm Kampf für den Führer sein.«
    Zehn Unschuldige für einen Schuldigen, dachte Nagold. Ein merkwürdiger Maßstab der Gerechtigkeit. Schicksal, wer am Leben blieb, Schicksal, wer starb!
    Er schloss die Kinder in ihrem Schlafraum ein, ohne sich ihrer anzunehmen.

Antek, Paule und Zick lagen schweigend auf ihren Betten. Sie hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihre Schuhe auszuziehen.
    »Jähde hat euch geglaubt«, sagte Willi. Sein Blick lief von einem zum andern. »Aber wie lange?«
    »Warum hast du nicht widersprochen?«, fragte Antek gelangweilt. Er lag mit angehobenem Kopf, das Kinn auf die Brust gedrückt, die Füße auf die Bettdecke gestellt. »Hat sich in deiner schmierigen Seele doch so etwas wie Gewissen gerührt?« Antek lachte. »Aber jetzt ist es auch egal.«
    Willi setzte sich auf Anteks Bett. »Es war noch nicht nötig, deine jämmerliche Lüge aufzudecken. In spätestens zehn Minuten wird Jähde hier sein und euch zur Rede stellen!«
    »Zehn Minuten können manchmal eine lange Zeit sein, wenn man abhauen muss«, sagte Paule. Er lag auf dem Bauch, den Kopf seitlich in die Kissen gedrückt.
    »Er ist nicht abgehauen, sonst hättet ihr nicht gelogen. So dumm bist du nicht, Paule!«, meinte Willi gelangweilt.
    »Danke!« Paule warf sich auf die andere Seite.
    Willi stand von Anteks Bett auf und stellte sich an die Tür. »Wenn ihr jetzt die Wahrheit sagt«, begann er leise, und Antek hatte das Gefühl, als klängen Willis Worte wie eine Bitte.
    »Wenn du mich fragst, Willi, dann sag ich dir, ich weiß nicht mehr den Unterschied zwischen Lüge und Wahrheit.«
    Willi fühlte sich verhöhnt. »Dann werde ich ihn euch beibringen …«
    »Gar nichts wirst du, außer dass du uns jetzt in Frieden lässt.«
    Der Schlüssel drehte sich im Schloss. Die Jungen fuhren erschrocken von ihren Betten.
    »Da habt ihr’s«, sagte Willi und stand Jähde als Erster gegenüber.
    »Ich weiß, dass Dressler nie in der Schillerstraße gewohnt hat, oder habt ihr tatsächlich geglaubt, dass ich eure Aussage nicht nachprüfen würde?«
    Jähde blickte weder Antek noch einen der andern Jungen an, sondern sah auf seine Uhr.
    »Ihr habt drei Minuten Bedenkzeit!«
    »Das ist nicht nötig«, sagte Willi.
    Antek zog nur die Mundwinkel herunter. »Dann war es ein Irrtum, Herr Rektor, man hat uns eben einen falschen Namen genannt«, höhnte Antek.
    »Ich habe Ihnen einiges zu sagen. Darf ich mit hinauskommen?«, fuhr Willi dazwischen.
    Jähde schloss die Tür auf und ließ ihn hinaus. Die drei blieben allein.

»Schenken Sie dem Ehrenwort eines Hitlerjungen noch Glauben?«
    Jähde, der nervös trommelnd hinter seinem Schreibtisch saß, wusste auf Willis pathetische Einleitung nichts zu sagen.
    »Ich muss es wissen, Herr Rektor, wenn ich ehrlich sprechen soll!«
    »Da ich dich gut genug kenne, um zu wissen, dass du in Gegenwart des Führers«, Jähde wies mit dem Daumen hinter sich, »nicht lügen wirst, glaube ich dir!«
    »Ich danke Ihnen, Herr Rektor, Sie sind der einzige Mensch, dem ich noch vertrauen kann!« Willi wurde rot.
    »Setz dich«, antwortete Jähde freundlich.
    Willi blieb stehen. »Wer Dressler ist, weiß keiner von uns. Aber eine andere Sache steckt dahinter.« Willi erzählte Jähde, wie er damals zum Singen der Motette gekommen sei. Dass Paule und Antek sie längst gekannt hatten und man ihn, Willi, gezwungen hätte, die Noten vom Blatt zu singen. Antek sei viel bei Kimmich und mit dessen Enkelin befreundet. Jähde hörte gespannt zu und begann, sich Notizen zu machen, als Willi seinen Bericht schloss.
    »Na und weiter?«, fragte Jähde, »das ist doch noch nichts!«
    Willi nahm sich zusammen. »Mehr möchte ich Ihnen jetzt nicht sagen.«
    »Bist du verrückt? Du vergisst wohl, wen du vor dir hast!«
    »Nein, Herr Rektor. Aber vorhin haben Sie gesagt, Sie glauben dem Ehrenwort eines Hitlerjungen. Ich bin einer, und ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass ich Ihnen noch heute Abend die Zusammenhänge erkläre, wenn Sie mich jetzt eine Stunde aus dem Arrest befreien!«
    »Ach, Quatsch, Arrest«, winkte Jähde, »sag, was los ist, und mach nicht so eine Geheimniskrämerei.«
    Jähde klopfte bei jedem Wort mit der Faust auf seinen Schreibtisch. Willis Gesicht verschloss sich. Wenn Jähde ihm jetzt auch

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