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Stern ohne Himmel

Stern ohne Himmel

Titel: Stern ohne Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Ossowski
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»Die magst du doch am liebsten, nicht?«
    Er sorgte zunächst dafür, dass Ruth das bekam, was sie gerne mochte. Erst dann begann er selbst zu essen.
    Da saßen sie nun alle fünf auf Kisten, Regalen und Körben. Sie aßen und tranken, sie lachten und waren stolz zu besitzen, was die Erwachsenen entbehren mussten. Antek dachte nicht mehr an die hungernde Frau, der er noch vor einer Stunde eine Kohlsuppe zugeschoben hatte. Paule hatte längst die Trillerpfeife vergessen, und Willi war es jetzt gleichgültig, ob sich auch Ruth satt aß.
    Schon oft hatte Ruth versucht, eine Kleinigkeit für den Großvater mitzunehmen. Aber die Freunde waren böse geworden. Obwohl alle außer Willi nichts gegen den alten Kimmich hatten, wollten sie es nicht erlauben. Jeder Mitwisser bedeutete Gefahr, den seltenen Fundort zu verlieren, bedeutete zu hungern.
    Paule war es, der plötzlich in das Kauen und Schmatzen hinein ein Geräusch hörte.
    »Seid mal ruhig!«
    Jetzt hörten sie es alle, ein Schlurren, ein Tapsen, dazwischen Stille.
    »Ach, das ist wieder so etwas mit dem Nagel«, versuchte Willi sich Mut zu machen, aber seine Augen blinzelten und die Lippen wurden ihm trocken. Zick presste den Speck zwischen den Fingern, bis ihm das Fett in den Ärmel lief. Paule stand sprungbereit, eine volle Konserve in der Hand.
    »Los, verstecken!«, flüsterte Antek.
    Er schob Ruth hinter ein paar Säcke. Zick sprang hinterher. Willi quetschte sich in eine Kartoffelkiste und Paule nahm in einer aufrecht stehenden Zinkbadewanne neben der Tür Zuflucht. In Sekunden war Grabesstille. Verlassen standen die Büchsen und Gläser auf dem Fußboden, während fünf Augenpaare durch Ritzen, zwischen Körben hindurch, an Würsten und Einmachgläsern vorbei auf die Tür starrten.
    Langsam öffnete sich die Brettertür. Aus der Dunkelheit des Ganges trat ein Junge. Er konnte kaum älter als Paule sein. In seiner erbarmungswürdigen Magerheit machte er auf die Kinder einen unheimlichen Eindruck. Voller Entsetzen beobachteten sie, wie er sich auf den Boden kniete und Gläser und Töpfe an sich riss. Er nahm nicht einmal den Löffel, der vor ihm lag. Er griff mit den Händen in die Leberwurst und schmierte sie sich in den Mund, dann das Pflaumenmus und so weiter, wie es gerade kam.
    Wie immer hatte Zick zu viel gegessen. Als er jetzt noch zusehen musste, wie dieser Eindringling die Leberwurst händeweise in den Mund steckte, wurde ihm vollends schlecht. Er rülpste laut.
    Betroffen fuhr der Fremde hoch. Er zögerte nur einen Augenblick, dann griff er nach der von Willi angebissenen Wurst und huschte zur Tür. Dort stand, wie aus dem Erdboden gewachsen, Paule. Er warf sich auf den schmächtigen Jungen, der fast besinnungslos vor Schreck gegen die Zinkbadewanne taumelte. Mit Blechgedröhn begrub sie beide Jungen.
    Willi fegte aus seiner Kartoffelkiste und schrie: »Ein Dieb, ein Dieb«, völlig vergessend, dass sie selbst nichts anderes waren.
    Er stemmte die Wanne hoch und zog den Fremden an den Beinen vor. Paule, durch Willis Hilfe gestärkt, wälzte den Feind auf den Rücken und kniete sich auf dessen Oberarme.
    »Durchsuchen!«, keuchte er.
    Willi wühlte in den ärmlichen Lumpen.
    »Warum der uns auch in die Quere kommen muss«, brummte Antek. Ihm war nicht geheuer bei der Sache, er mochte aber auch die Freunde nicht abhalten. Schlimm genug, dass sie überrascht worden waren.

Willi hatte etwas gefunden. Es war nicht viel, nur ein Fetzen Stoff; und verärgert, dass so gar keine Beute zu machen war, warf er ihn fort. Da bäumte sich der Fremde auf. Er stieß mit den Beinen, er versuchte Paule sogar zu beißen und wilde Wut stand in seinen schwarzen Augen.
    »Du Bauchwanze, dir werd ich das Radfahren beibringen«, Paule stemmte sich noch fester auf die Arme.
    »Sieh mal nach, was mit dem Flicken los ist«, mischte sich Antek ein.
    Zick hob den Stoff mit zwei Fingern hoch. Alle starrten auf den Lumpen, auf den ein Judenstern genäht war. Willi und Paule ließen von dem Fremden ab. Richtig hatten sie alle noch keinen Davidstern gesehen, denn Juden gab es nicht, auf die schimpfte man nur. Und während sie staunend den Fetzen von Hand zu Hand gehen ließen, glaubte der Junge endlich davonzukommen. Ohne hinzusehen griff Paule hinter sich.
    »Könnte dir so passen.« Er warf den Fliehenden gegen die Wand, wo dieser entmutigt und erschöpft stehen blieb. Jetzt war ihm alles egal, sollten sie mit ihm machen, was sie wollten. Er konnte sich nicht mehr wehren, konnte

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