Stern ohne Himmel
nicht mehr denken, konnte nicht mehr essen.
Willi kam breitbeinig auf ihn zu: »Wo hast du den Judenstern her?«
Der Junge hörte nicht hin. Er sah in das rote Gesicht von Willi und dachte: Wenn du tot bist, bist du auch nicht mehr so dick, und über deine Augen laufen Fliegen, genau wie …
Antek schob Willi zur Seite.
»Hör doch auf, merkst du nicht, dass der völlig fertig ist?«
»Wie kommst du zu dem Judenstern?«
Antek bekam keine Antwort. Sie war auch gar nicht nötig, denn er wusste genau, dass kein Mensch in Deutschland solch einen Stern freiwillig bei sich trug. Vor ihm stand ein Jude. Die ungeschnittenen Locken hingen seitlich über das Gesicht. Die hochgeschwungenen Brauen waren wie mit einem Kohlestift gezeichnet, und die berühmte Judennase war zwar wenig gebogen, aber ganz schmal.
»Bist du ein Jude?«, fragte Antek.
»Ja.«
Die anderen wichen zurück.
Das Wort »Jude« zog eine Mauer der Verachtung um den Fremden. Er schloss die Augen.
»Mensch, ein Jude«, sagte Zick als Erster, noch ganz beklommen von dieser Ungeheuerlichkeit. Dann packte ihn die Neugier. Vorsichtig fasste er den Jungen an.
Antek stieß Zick zurück. Das lähmende Schweigen der Freunde jagte seine Gedanken. Was soll ich mit ihm machen, hämmerte es in seinem Kopf. Was denken jetzt Paule und Willi? Warum sagen sie nichts? Voller Wut fühlte er die Verantwortung, die ihm die Freunde zuteilten.
»Warum sagst du denn nichts?«, fuhr er Willi an. »Vorhin wolltest du doch den Boss spielen und hast den Schlüssel behalten!«
Willi zog die Mundwinkel herab.
Paule stand in der Ecke. Das war eine Sache, in die man sich besser nicht zu früh einmischte. Zick staunte mit offenem Mund.
»Ach, was geht mich das an«, knurrte Antek in seiner Hilflosigkeit und warf einen Apfel gegen die Wand.
Der Jude zuckte zusammen.
Auch Ruth hatte sich erschrocken. Im ersten Augenblick hatte es ausgesehen, als wollte Antek den Apfel nach dem Fremden werfen. Ruth sprang auf. Antek ging zu Paule und Willi, stieß ein paar Büchsen zur Seite und sagte: »Eine schöne Schweinerei!«
Paule und Willi nickten.
Keiner gönnte dem Fremden einen Blick.
»Frag ihn doch, wie er heißt«, hörte Antek Ruths Stimme, »und wohin er will.«
Warum schrie sie eigentlich so? Aber Ruth hatte nicht geschrien. Sie war nur immer näher auf ihn zugegangen. Er drehte sich um. Er sah in ihre grünen Augen und las den Hohn über seine Feigheit. Vielleicht hätte er sich anders benommen, wenn Paule und Willi nicht dabei gewesen wären. Aber wie sollte er ihr das jetzt erklären?
»Lass dir ja von der nichts vormachen«, mischte sich Willi ein. Es klang schneidend, als sollte eine Drohung folgen. Aber Willi sprach sie nicht aus. Antek hatte verstanden. Ruth wandte sich ab. Jede ihrer Bewegungen drückte tiefste Verachtung aus.
»Sag uns, wie heißt du«, fragte sie den Jungen.
Antek sprang aus seiner Ecke und riss das Mädchen grob zurück. Er fühlte, dass er ihr wehtat. »Du hast nicht mit ihm zu reden. Das geht dich nichts an. Das ist unsere Sache.«
Ohne Antek eine Antwort zu geben, rieb sie sich den schmerzenden Arm. Er ist eifersüchtig, dachte sie. Willis Bedrohung hatte sie wenig beeindruckt, umso mehr kränkte sie die Feigheit des Freundes.
»Wenn du nur an dich denkst!«, warf sie ihm verächtlich hin und wandte sich wieder dem Juden zu.
»Sag mir, wie du heißt oder wie ich dich nennen soll!«, hörte Antek sie zutraulich fragen.
Der Fremde starrte in ihr Gesicht.
»Abiram«, sagte er.
»Das ist vielleicht ein verrückter Name«, fuhr Paule im Hintergrund auf. Der Fremde hatte einen Augenblick lang vergessen, dass er mit dem Mädchen nicht allein war. Er sah die Köpfe der Jungen hinter ihrem Rücken auftauchen und spürte Feindseligkeit.
Ruth wich nicht von seiner Seite.
»Wieso bist du hierher gekommen?«, fragte Willi.
Abiram wandte den Blick nicht von Ruth. Er wollte nur ihr antworten.
»Ich suche jemanden«, gab er zögernd zu.
Paule wurde wach. »Hier in diesem Keller?«
»Das weiß ich nicht genau, aber in der Straße.«
»Hier sind alle tot«, sagte Antek trocken, »da brauchst du nicht mehr zu suchen.«
Abiram fühlte sich müde. Warum fragten sie ihn überhaupt?
Sie würden ihn doch anzeigen und in ein Lager bringen. Nur das Mädchen war anders.
»Na, also«, schnitt ihm Paule die Gedanken ab, »warum spionierst du dann hier in unserem Keller rum?«
»Ich habe nicht spioniert, ich wollte mich verstecken. Ich bin
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