Stern ohne Himmel
Jude.«
Wieder dieses Wort, wieder war die Antwort Schweigen. Darauf gab es nichts zu sagen. Die Neugier wurde zu Misstrauen und Abwehr.
Willi meinte, genug Geduld mit dem Fremden bewiesen zu haben. Er winkte den Freunden, an die Tür zu kommen. Jetzt mussten Entschlüsse gefasst werden.
Ruth stand zwischen dem Juden und den Freunden, weder der eine noch die anderen sprachen mit ihr. Abiram blieb stumpfsinnig an die Wand gelehnt. Antek würdigte Ruth keines Blickes. Die Kameraden hatten sie ausgeschlossen. Selbst Zick beachtete sie nicht. Sie schob Abiram mit dem Fuß ein Glas Kompott hin.
»Iss das nur«, sagte sie. Ihr Blick hing an Antek. Abiram rührte das Glas nicht an.
»Jetzt tut’s dir wohl Leid«, fragte er flüsternd und wies mit dem Kopf zu den Jungen.
»Blödsinn«, antwortete sie.
»Du kannst mir doch nicht mehr helfen!«
»Wart’s ab!«
Willi blickte zu den beiden herüber. »Was habt ihr zu flüstern? Einen Juden muss man anzeigen, das wisst ihr doch«, sagte er laut.
Die Vorstellung, einen halb verhungerten Jungen anzuzeigen, fand Antek lächerlich. »Du fällst mir auf den Wecker, Willi«, sagte er wegwerfend. »Ich weiß zwar auch nicht, zu was ein Jude gut ist«, meinte er leise, so dass Abiram es nicht hören konnte, »aber der ist schließlich so alt wie wir.«
»Na und?«, fuhr Willi auf, »ist das meine Schuld?«
Zick, der nur zuhörte, fuhr es durch den Kopf, wie es wäre, wenn er jetzt dort an der Mauer kauerte, wenn man ihn anzeigen wollte. Ganz heiß wurde ihm bei dem Gedanken, und er war dem lieben Gott plötzlich sehr dankbar, dass sein Vater nicht Jude, sondern Soldat war.
»Ach was«, redete Willi weiter, »ich sage euch, ein Jude muss weg, ich zeig ihn an.«
»Natürlich«, sagte Ruth, »du zeigst ihn an. Ein anderer von uns kommt wohl auch kaum in Frage!«
Willi wusste im Augenblick nicht, ob das Hohn oder Anerkennung war.
»Dich hab ich nicht gefragt«, sagte er.
»Das ist alles Mist«, meinte Paule und senkte die Stimme, »wenn wir den anzeigen, dann wird er nichts Besseres wissen, als uns zu verraten. Dann kommt das hier mit unserer Speisekammer alles heraus.« Er machte eine umfassende Bewegung. Die fünf sahen sich an. Paule hatte Recht, das war eine böse Gefahr. Ruth lächelte Antek zu, aber der sah darüber hinweg. Sollte sie sich doch wieder zu ihrem Juden setzen und ihn trösten, dachte er.
Der Schlag der Kirchturmuhr hallte dumpf von draußen herein. Zicks Augen weiteten sich, wurden rund: »Die Chorstunde …«
Bereits vor einer halben Stunde musste die Probe begonnen haben.
»Der Jude bleibt hier!«, entschied Paule.
»In der Speisekammer?«, fragte Zick.
»Was anderes können wir nicht abschließen.«
Ruth zögerte. »Dann bleibe ich auch hier!«
Aber Antek hatte sie schon am Arm und zerrte sie vor.
»Das könnte dir so passen!« Er stieß sie in den Gang.
Die Jungen folgten.
»Und friss nicht zu viel, ich hab alles gezählt«, warnte Paule. Abiram hörte nicht hin. Er versuchte sich durchzudrängen. Aber Willi hatte damit gerechnet. Er schlug zu. Abiram taumelte zurück. Die Tür fiel ins Schloss, der Schlüssel drehte sich, der Jude war gefangen.
»Ich hab den Schlüssel«, grinste Willi und behielt ihn sorgfältig in der Hand, »und ich geb ihn auch nicht her, bis du da bist, wo du hingehörst!«
Abiram brachte keinen Ton raus. Er umklammerte die Latten. Ruth konnte er nicht mehr sehen. Paule und Zick verschwanden im Dunkel. Nur Willi weidete sich einen stolzen Augenblick an seinem Gefangenen.
»Los, Willi!«, schrie Antek.
»Vorwärts, Mensch!«
Antek sah Abiram an. »Wir kommen heute Abend. Dir passiert nichts.« Er spürt Abirams Furcht. »Der gibt nur an!«, und damit tauchte auch Antek in der Finsternis unter.
Abiram war allein. Er rüttelte an den Latten. Er schlug gegen die Klinke. Alle Müdigkeit und Schwäche war verflogen. Er war besessen von dem Gedanken, dass nie wieder ein Mensch hier herunter in den Keller kommen würde.
»Aufmachen, aufmachen!«, rief er. Seine Stimme überschlug sich. Da sah er durch das verbogene Gitterfenster Paules wütendes Gesicht.
»Schrei nicht so laut, sonst hast du die Polizei schneller auf dem Hals, als dir lieb ist.«
Abiram war sofort still. Aber in Wirklichkeit brauchte er das nicht zu befürchten. Hier kam niemand vorbei.
»Tut er dir denn nicht Leid?«, fragte Ruth und hielt Antek zurück.
»Doch, aber das hilft jetzt keinem. Es passiert ihm ja vorläufig nichts.«
»Warum hast du
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