Sternchenhimmel
Gedanken, sich mit dem Rasentrimmer über ihr grauenvolles Tattoo herzumachen und die bestialische Darstellung zu feuchtem rotem Matsch zu häckseln. Stattdessen ging er hinein und machte es sich mit einem National Geographic bequem; im Gefängnis war das seine Lieblingszeitschrift geworden. In dieser Ausgabe war ein Artikel über kosmetische Mikrochirurgie, ein Thema, das ihn brennend interessierte. Er hatte verdammtes Pech mit Ärzten gehabt, aber jetzt, wo er richtig Kohle machen würde, konnte er vielleicht einen erstklassigen Chirurgen finden, der sein Gesicht wieder glatt bekam.
Nach einiger Zeit kam Bang Abbott vom Balkon herein. Schlingernd ging er auf Chemo zu und fragte mit einem lüsternen Korpsbrudergrinsen: »Hey, können Sie uns mal eine Stunde allein lassen? Mich und die kleine Schlampe?«
»Das soll wohl ein Witz sein.«
»Nein, Mann, ich fühl’s ganz deutlich. Sie, äh, sie hat’s echt nötig.«
»Ich habe Befehl von Mr Lykes, sie nicht aus den Augen zu lassen.«
»Dann warten Sie einfach draußen vor der Tür, okay? Verdammt, Sie können gern zuhören, wenn Sie wollen.« Bang Abbott schwitzte noch mehr als sonst, seine Stirn fühlte sich so feuchtkalt an wie eine Makrele. Ihm war klar, dass die einmalige fleischliche Gelegenheit mit Cherry Pye jeden Augenblick dahin sein könnte.
»Kommen Sie schon«, flehte er den Bodyguard an. »Geben Sie einem Bruder im Geiste eine Chance.«
»Sie sind besoffen«, sagte Chemo.
»Bloß ein bisschen.«
»Wir sind keine Brüder im Geiste. Schlagen Sie sich das aus dem Kopf.«
»Was ist?«, fragte der Paparazzo. »Sie können wohl nicht glauben, dass sie so einen wie mich vögeln würde, stimmt’s?«
»Oh, das glaube ich sofort. Vorgestern Abend habe ich sie dabei erwischt, wie sie auf ihrem iPhone rumgerutscht ist. Sie hatte es auf Vibration gestellt, also hat sie jedes Mal, wenn jemand angerufen hat oder eine SMS ankam … Jedenfalls, doch, ich glaube Ihnen.« Chemo stand auf und klemmte sich die Zeitschrift unter die Prothese.
»Sie haben dreißig Minuten«, sagte er Bang Abbott.
Fremont Spores entdeckte sein Interesse an Polizeiscannern, nachdem seine Frau Lenore an Lungenkrebs gestorben war. Sie hatte nie geraucht, doch mit Fremont zusammenzuleben, der ein menschlicher Schornstein war, war ihr Tod. Lenore Spores war in jeder Hinsicht eine gehaltvolle Person gewesen, und ihr Tod hinterließ ein Sinnesvakuum, das Fremont irgendwie füllen musste. Nach neunundzwanzig geräuschvollen Jahren kam er mit einer stillen Wohnung nicht zurecht. Die Scanner brachten wieder Leben in die Bude; genau wie Lenore gaben sie nicht einen Augenblick lang Ruhe.
Zuerst war das Abhören der Polizeifrequenzen lediglich ein Hobby. Es gab so viel Blutvergießen und Gewalt in Florida, dass Fremont stundenlang vor den Geräten hockte, wie gebannt von den mit statischem Rauschen durchsetzten Bulletins – Autounfälle, Schießereien, Einbrüche, Gangschlägereien, Hahnenkämpfe, Morde/Selbstmorde, Drogenrazzien, Überdosen, Wasserleichen, unsittliche Entblößungen, auf Bäumen festsitzende Katzen, Pythons in Swimmingpools. Fremont steigerte sich so fieberhaft in das Funkgerät-Gebrabbel hinein, dass er seinen Posten manchmal den ganzen Tag lang nicht verließ, Mahlzeiten ausfallen ließ und in eine Weichspülerflasche urinierte.
Dann erhöhte der Hausbesitzer die Miete, und Fremont sah sich knapp bei Kasse. Er lebte von Sozialhilfe und einer bescheidenen Pension der Florida Times Union, wo er als Druckerpressemechaniker gearbeitet hatte, bevor er in Rente gegangen und nach Miami Beach gezogen war. Die Zeitungspension, die eben noch Fremonts monatliche Ausgaben für Vogelfutter und Winston Lights gedeckt hatte, wurde jetzt für einen Teil der Miete benötigt. Daher sah er sich plötzlich mit zwei Tragödien konfrontiert, nämlich Zigaretten zu entsagen und außerdem Abschied von Mr Peeps zu nehmen, seinem stummen, aber heiß geliebten Wellensittich.
Als er sich eines Tages im Scannershop umschaute, kam Fremont Spores mit einem verlotterten Kerl ins Gespräch, der einen alten Uniden Bearcat zum Reparieren gebracht hatte. Der Mann vertraute Fremont an, dass er jede Woche ein paar Hunderter damit verdiente, die Polizeikanäle abzuhören und den lokalen Radio- und Fernsehsendern Tipps zu geben, gelegentlich auch der Boulevardpresse. South Beach war gerade als Wintertränke für Supermodels, Musiker und Showbusiness-Angeber in Mode gekommen, und man konnte gutes Geld damit
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