Sterne im Sand
zynisch. Damals war es ihr nicht bewußt geworden, dafür war sie viel zu überwältigt von seiner anrührenden Rede. Er stand neben der Kanzel und schilderte die Tapferkeit und Stärke seines Freundes und Partners, lobte Kellys Pioniergeist, stellte ihn als leuchtendes Beispiel für die jungen Männer seines Landes hin. Charlotte hörte Schluchzen in den Reihen hinter sich, denn Austin meinte jedes Wort ernst. Bisher hatte sie in ihrem eigenen Unglück gar nicht bemerkt, daß auch er litt. Kelly war sein bester Freund gewesen, der einzige Mensch, der sich mit ihm ins unbekannte Outback gewagt und nicht nur der Knochenarbeit, sondern auch den offensichtlich lauernden Gefahren gestellt hatte.
Die Demütigung folgte einige Tage später. Austin erklärte nüchtern, er habe ihren Brief an Kelly gelesen, in dem sie ihn um Geld bat.
»Ich kann dich nicht einfach hierlassen«, sagte er, ihre kläglichen Einwände beiseite wischend. »Kelly würde es mir nie verzeihen. Immerhin besitzt du einen Anteil an Springfield. Du mußt mitkommen.«
»Ist das nicht gefährlich?« fragte sie verzagt und hoffte gleichzeitig, daß er keinen Rückzieher machen würde. Doch angesichts des Todes von Kelly – bisher hatte sie nur erfahren, daß er vom Speer eines Schwarzen getötet worden war – schien diese Frage nicht unangemessen.
»Nein, ich werde schon auf dich aufpassen. Innerhalb der Grenzen der Hauptfarm bist du sicher. Doch du wirst die einzige weiße Frau dort draußen sein. Stört dich das?«
»Ich denke nicht, aber wo soll ich wohnen?«
»Ich baue ein Cottage. Ich kann sowieso nicht länger in den Arbeiterquartieren leben. Du kannst dort mit mir einziehen.«
Charlotte errötete. »Ich weiß nicht recht, Austin.«
Er stand auf, ging zur Tür des winzigen Wohnzimmers und blickte mit unverhohlener Verachtung auf die schäbige Straße mit den Arbeiterhäuschen hinaus. »Hier kannst du jedenfalls nicht bleiben. Das ist ganz ausgeschlossen. Kelly wollte nie, daß du auf Dauer hier lebst, er freute sich so darauf, dir Springfield zu zeigen.«
Sie schienen in eine Sackgasse geraten zu sein. Doch wie immer fand Austin einen Ausweg. »Schau mal, Charlotte, wir kommen doch gut miteinander aus. Und wie schon gesagt, ein Teil von Springfield gehört ohnehin dir. Ich kann verstehen, daß du es unziemlich findest, mit mir dort zu leben. Man sollte die Konventionen achten. Warum also heiraten wir nicht?«
Was war das eben gewesen? Heiraten? Vielleicht hatte sie ihn mißverstanden oder, schlimmer noch, ihre Tagträume von diesem Mann hatten dazu geführt, daß sie ihn nun schon das entscheidende Wort aussprechen hörte. Peinlich berührt eilte sie in die Küche, öffnete und schloß in Panik die Schubladen des Schrankes. Wie konnte sie antworten, wenn die Frage vielleicht nur Einbildung gewesen war?
Doch er kam ihr nach. »Was sagst du also?«
»Wozu?« fragte sie und konnte ihm dabei nicht ins Gesicht sehen.
»Zu unserer Heirat. Das heißt, falls du mich als annehmbar betrachtest. Ich weiß, ich bin nur ein Mann aus dem Busch, aber die Brodericks sind aus dem richtigen Holz geschnitzt …« Er lachte. »Von einigen Ganoven in früheren Generationen einmal abgesehen. Charlotte, ich werde dich nie im Stich lassen, das verspreche ich dir.«
Sie bekam eine Gänsehaut. Noch immer warnte sie eine innere Stimme, es könne nicht wirklich sein. Er zeige nur Mitleid mit ihr. Morgen wäre es vergessen, wie seine anderen impulsiven Gesten. Um ihr Gesicht zu wahren, entschied Charlotte sich dafür, ihm einen Korb zu geben; doch dann wollten die richtigen Worte einfach nicht kommen.
Statt dessen fragte sie: »Kommt das nicht ein bißchen plötzlich?«
»Ganz und gar nicht.« Sie war überwältigt von seinem Selbstvertrauen. »Ich habe schon seit Tagen daran gedacht. Du bist eine vortreffliche Frau, Charlotte, und es wäre mir eine Ehre, wenn du Mrs. Broderick würdest.«
Obwohl ihr Herz vor Freude hüpfte, wahrte sie noch einen Rest an Zurückhaltung. »Ich brauche Zeit zum Nachdenken.«
Als sie nach einigen Tagen seinen Antrag annahm, umarmte er sie, küßte sie auf die Wange und sagte: »Braves Mädchen. Springfield wird dir gefallen, ganz bestimmt.«
»Nun«, dachte sie auf dem Rückweg zum Teetisch, wo man sie bereits erwartete, »damit hat er ja zweifelsohne recht gehabt.« Springfield war damals unglaublich aufregend gewesen, und ihren Ehemann hatte sie geradezu vergöttert. Was sonst konnte sich ein Mädchen wünschen?
»Du und
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