Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
zurückgekehrt war. Bis hinaus nach Reinbek zog es sie, idyllisch am Flüsschen Bille gelegen, zu einem verwunschen wirkenden Teich aufgestaut; lieblich mit seinen Wiesen und Wäldern, seinem Schlösschen und der steinernen Brücke, die daran erinnerte, dass das Königreich von Dänemark einmal bis hierher gereicht hatte. Die Bille war es auch, die Emily von Reinbek nach Bergedorf führte, mit seinem rotsteinigen Schloss am Wasser und seinem italienischen Viertel, in dessen Restaurants sie manchmal zu Mittag aß.
Diese Märsche bewahrten ihren klaren Verstand, linderten Heimweh und Einsamkeit.
Diese Stadt hatte etwas Eigentümliches: Aus einer gewissen Entfernung, vom Ufer der Außenalster etwa oder von der Lombardsbrücke aus gesehen, wirkte Hamburg filigran, fast putzig. All die Türmchen und Spitzen und grauen oder grünen Dachflecken, die Fensterchen und Türchen und der feine Zierrat, den die Bürger dieser Stadt so schätzten – aus einer gewissen Entfernung betrachtet, ähnelte Hamburg einer Ansammlung von Puppenhäusern, für zerbrechliche kleine Wesen gemacht.
Ein trügerischer Eindruck, wie Emily mehr als einmal feststellte, wenn sie sich inmitten der Straßenzüge und Gassen heillos verlief und erst nach stundenlangem Umherirren wieder eine bekannte Ecke, ein vertrautes Bauwerk fand, das ihr den Heimweg zeigte.
Es war an einem solchen Tag, noch in ihrem ersten Spätsommer in Hamburg, dass sie in ihrer Not einen Laden betrat, in dessen Schaufenster zierliche Pumps und blanke Stiefel ausgestellt waren.
Die Glocke über ihr bimmelte heftig, als Emily die Tür aufriss und hineinging.
Über seine Brillengläser hinweg sah der Schuhmacher sie freundlich an, ein verhutzeltes Männlein mit einem Gesicht wie eine getrocknete Dattel, die Ärmel seines blau-weiß gestreiften Hemdes hochgerollt und eine Lederschürze umgebunden.
» Moin «, begrüßte er sie mit einem der wenigen Ausdrücke, die Emily von der fremden Sprache verstand. Er legte den Schuh, an dem er gerade mit seiner Ahle herumgestichelt hatte, auf den hölzernen Ladentisch und erhob sich. Der nächste Satz, den er von sich gab, blieb Emily rätselhaft, aber aus seiner Miene schloss sie, dass er eine Frage an sie gerichtet hatte.
In ihrer Aufregung vergaß sie, den Gruß zu erwidern, und stieß in überdeutlicher Betonung hervor: »Uh-len-hor-stt?«
Die struppigen Augenbrauen des Schuhmachers zogen sich zusammen.
»Uh-len-hor-stt?« , versuchte Emily es noch einmal und tippte sich einige Male mit dem Zeigefinger gegen das Brustbein. » Show me , zeigen Sie es mir«, setzte sie auf Englisch hinzu. Der Schuhmacher hob hilflos die schwieligen Hände und zog die Schultern hoch.
» Show me «, wiederholte Emily, der Verzweiflung nah. Zumbesseren Verständnis spreizte sie dabei leicht Zeige- und Mittelfinger und ließ sie zwei Beinen gleich über den Ladentisch spazieren. »Uh-len-hor-stt! Show me!«
»Ah-haaaa«, machte der Mann und strahlte über das ganze Gesicht. Er drückte die verdutzte Emily auf einen Stuhl, schob ihr einen Hocker hin und legte einen ihrer Füße darauf, zog ihr flugs den Schuh aus und holte aus seiner ausgebeulten Hosentasche ein Maßband, das er sogleich anlegte.
»No!« , rief Emily, hochrot im Gesicht, zog ihren Fuß rasch zurück, packte ihren Schuh und sprang auf. »Uh-len-hor-stt!«
Der Schuhmacher sah sie verwirrt an, reckte den Zeigefinger mahnend vor sich in die Luft und rannte dann aus seinem Laden, um gleich darauf mit einem zweiten Mann, der einen Anzug trug, zurückzukehren. Dessen englisches »Guten Tag, Madam – kann ich Ihnen helfen?« ließ sie vor Erleichterung beinah in Tränen ausbrechen. Sein Lachen jedoch, als er erklärte, ihr show hätte geklungen wie das englische Wort für Schuh, shoe , daraus hätte sich dieses Missverständnis ergeben, beschämte Emily zutiefst.
Der Herr im Anzug brachte sie bis zur übernächsten Ecke, ab der sie sich wieder auskannte. Die Wangen brennend vor Scham und eine brodelnde Wut im Bauch, eilte Emily nach Hause.
An diesem Abend schickte sie ihre Köchin Lene mit unzweifelhafter Gestik früher in den Feierabend. Alleinige Herrin über die Küche, schob Emily die Ärmel hoch und begann energisch unter viel Geklapper und Geschepper darin herumzuhantieren. Mit dem messinggelben Currypulver und einer Reihe anderer exotischer Gewürze, die Heinrich ihr aus einem Kolonialwarenladen in der Stadt mitgebracht hatte, rührte und brutzelte und schmurgelte sie in Töpfen
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