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Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Titel: Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Emily verschmähte das im Vergleich zur kräftigen, stark gesüßten arabischen Variantewässrige Gebräu, das man in Hamburg als »Kaffee« zu bezeichnen pflegte. Die Alsterarkaden mit ihren elegant dekorierten Schaufenstern blieben einem sonntäglichen Bummel mit Heinrich vorbehalten. Oft begutachtete Emily die Fortschritte an den zahlreichen Baustellen der Stadt, während sich an der Lücke, die das alte Rathaus hinterlassen hatte, nachdem es beim großen Brand rund fünfundzwanzig Jahre zuvor ein Raub der Flammen geworden war, weiterhin nichts tat. Doch die Börse dahinter, die vorschont geblieben war, stellte auch für sich genommen schon ein Schmuckstück dar.
    In Hamburg war vieles prächtig, vieles bezauberte Emily. Vor allem die vielen Wasserläufe, die die Stadt durchzogen. Doch nichts betörte sie so sehr wie die Elbe, ein Strom, der schon fast etwas an sich hatte von einem Meer, so wenig zahm, wie er war. Im Hafen hielt Emily sich am liebsten auf. Hier glaubte sie das Salz der Weltmeere zu riechen und ein bisschen von den Gewürznelken Sansibars, wenn sie das Gesicht in den kräftigen Wind hielt und in die Masten der Segler sah. Ihr Herz schlug schneller, wenn ihr Blick auf dunkelhäutige Matrosen fiel, die geradewegs aus ihrer Heimat gekommen zu sein schienen. Emily verspürte dann brennendes Heimweh und die wimpernschlaglange Erfüllung ihrer Sehnsucht. Ein bittersüßer Schmerz, den sie willkommen hieß.
    Eines Tages werde ich Sansibar wiedersehen, das weiß ich. Eines Tages – ganz bestimmt …
    Hamburg hatte indes noch ein zweites Gesicht, eines, das finster war und schmutzig, als sammelte sich an bestimmten Orten der Stadt der Ruß, den die unzähligen Schornsteine in die Luft schickten. Hier waren die Gassen schmierig und schlüpfrig und selbst an einem sonnigen Tag nebelverhangen unter einem Himmel, der bleiern war von Rauch und schwarzem Dunst, schlimmer noch als in Aden.
    Schmutzig waren auch die Menschen hier, abgerissen, vorder Zeit verbraucht und mit leeren Augen. Emilys Hände ballten sich zu Fäusten, als sie sah, wie Kinder, deren Schulterblätter unter den Joppen hervorstachen wie beschnittene Engelsflügel, Backsteine schleppten. Mehrmals war sie auf den Abendgesellschaften auf die Sklaverei angesprochen worden, so als säße man zu Gericht über Emily. Niemand wollte glauben, dass ihr der Name »Bagamoyo« nicht mehr sagte, als dass es sich um einen Ort an der afrikanischen Küste handelte. Niemand konnte sich vorstellen, dass Emily nie die halb toten, zerschundenen Gerippe gesehen hatte, als die die aus dem Inneren des Kontinentes verschleppten Menschen dort ankamen, während jeder, der sich in Hamburg nur ein wenig für dieses Thema interessierte, ausführliche Berichte darüber kannte.
    Emily stiegen Tränen in die Augen, als sie an die wohlgenährten, fröhlichen Kinder ihrer Sklaven auf Kisimbani dachte, an ihre lebhaften Spielgefährten in Mtoni und Beit il Sahil, deren Mütter den sarari des Sultans, ihr und ihren Geschwistern gedient hatten. Keines dieser Sklavenkinder hatte in diesem Alter je so hart arbeiten müssen, und keines war je so abgemagert gewesen wie diese Hamburger Kinder, deren Gesichter bereits greisenhafte Züge hatten. Deren Blick stumpf war, ohne diesen unbändigen Funken eines jungen Lebens, das noch nichts wusste von den Kümmernissen der Welt.
    Oh ja, gewiss, sie sind frei , dachte Salima voller Ingrimm, während sie zornig ausschritt und in Gedanken eine stumme Rede an die vor ihrem inneren Auge versammelten Bürger Hamburgs hielt, die mit einer Verurteilung sansibarischer Gepflogenheiten so schnell bei der Hand gewesen waren. Frei, um sich krank und halb tot zu schuften. Frei, um nicht genug zu essen zu haben und doch gerade so viel, dass sie nicht einfach tot umfallen. Wie viel ist Freiheit wert mit einem leeren Magen? Wiefrei ist jemand, der sich von Kindesbeinen an derart abrackern muss, ohne dass sein Dienstherr für ihn sorgt? Jemand, dem es wohl nie gelingen wird, das Joch aus Schinderei, wenig Lohn und Hunger abzuschütteln – solch ein Mensch soll frei sein?

    Emily sah viel von Hamburg in den Jahren, die sie hier verbringen sollte. Im Frühjahr und im Sommer, im Herbst und sogar in den kältesten Wintern, bei Sonne und Regen und Schnee. Oft begleitet von ihrem Pudel und dem schlankgliedrigen Windspiel – die beiden Hunde, die Heinrich ihr geschenkt hatte, nachdem ihre weiße Katze von einem Streifzug durch die Nachbarschaft nicht wieder

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