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Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Titel: Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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in ihre neu gekauften Stiefeletten stieg.
    »Halt, Bibi, hier!« Er reichte ihr einen Schal. »Den hast du vergessen. «
    »Den hab ich nicht vergessen – ich mag ihn nicht!« Sie stampfte auf wie ein ungezogenes Kind. »Der ist wie eine Schlinge um meinen Hals!«
    Er hielt sie am Arm zurück, als sie schon losstürmen wollte, und hielt ihr den Schal auffordernd hin.
    »Anziehen, Bibi Salmé! Sonst wirst du krank – und unser Kind gleich mit! Und die auch!« Emily entriss ihm die Handschuhe und lief los, polterte die Treppen hinab und durch die Eingangshalle, wo sie die massive Tür entriegelte und über die Schwelle setzte.
    Bis über die Knöchel versank sie im Schnee, der zu leuchten schien und die dämmernde Morgenstunde erhellte. Verwirrt sah sie, wie sich vor ihrem Mund bei jedem Ausatmen ein Wölkchen bildete, als zöge sie an einer Zigarre, wie Heinrich es manchmal tat. Wie ein Flamingo stapfte sie darin herum, die Säume ihrer Röcke durch die weiche Masse schleifend, blieb dann stehen und breitete die Arme aus, den Kopf in den Nacken gelegt. Bei jedem kalten Tupfer, der sie auf Wangen, Nase und Kinn traf, zuckte sie zusammen und freute sich doch daran. Sie öffnete den Mund und streckte die Zunge heraus, fing die Flocken damit auf, verblüfft darüber, dass sie aussahen wie Zuckerzeug und doch nach nichts schmeckten.
    »He, Bibi!«
    Sie drehte sich um, sah einen faustgroßen weißen Ball auf sich zufliegen, der sie an der Schulter traf, teils zu Pulver zerplatzte, teils als schneeige Kruste an ihrer Mantelschulter kleben blieb. Ihr Mund formte ein empörtes »Oh«, während um seine Ränder ein Lächeln kribbelte.
    Heinrich schaufelte erneut Schnee in seine behandschuhten Hände, knetete und formte ihn zu einer weiteren unregelmäßigen Kugel, und Emily bückte sich, um es ihm gleichzutun.
    Ihre übermütigen Rufe füllten die morgendliche Stille, das Knirschen des Schnees unter ihren Sohlen, das satte Fumpp , wenn ein Schneeball den jeweils anderen traf, bis sie mit eisigen Händen und Füßen innehielten. Schneereste hafteten anEmilys Röcken und Heinrichs Hosenbeinen, an Mänteln und Schals, hingen in harten Klümpchen an den Handschuhen. In Emilys dunklen Wimpern und auf ihrem Haar funkelten Kristalle; ihre Wangen waren rot vor Kälte, von der Bewegung und von der Freude, die ihre Augen blitzen ließ. Atemlos sahen sie und Heinrich einander an, bevor sie in Lachen ausbrachen, das weit hinausdrang in das noch schlafende Uhlenhorst.
    Heinrich und Hamburg hatten Emily das Lachen wiedergeschenkt.
    Wenn es auch nicht mehr ihr altes war.
44
    Der Dezember brachte nicht nur Schnee, sondern auch eine solche Kälte, dass die Alster zufror. Vom Garten des Hauses aus bestaunte Emily die spiegelnde Fläche, halb opak, halb durchscheinend glänzend wie dicker Zuckerguss auf einem Kuchen. Nicht minder fasziniert war sie von den Hunderten von Menschen, die sich darauf tummelten und scheinbar schwerelos über das Eis glitten, als hätten sie unsichtbare Flügel. Tatsächlich waren es stählerne Kufen, unter die Sohlen der Winterstiefel geschraubt, die ihnen dieses Dahinfliegen ermöglichten, sodass die Enden ihrer Wollschals hinter ihnen herflatterten wie Wimpel und die Röcke der Mädchen und Frauen sich blähten wie die Segel einer Fregatte im Wind. Emily betrachtete das Treiben gebannt und vergaß dabei sogar den bellenden Husten, der sie seit Längerem quälte.
    Rote Backen und blitzende Augen, vergnügtes Gelächter und Gejohle verhießen einen Heidenspaß und verlockten Emily, sich ebenfalls auf den rutschigen Untergrund zu wagen, warm eingepackt und Heinrichs eine Hand umklammert, während er den anderen Arm um ihre Taille gelegt hatte, um ihrem rundlichen Leib Halt und Stütze zu bieten.
    Was jedoch so einfach aussah, sogar kleinen Jungen, die auf einem Bein und rückwärts in halsbrecherischerGeschwindigkeit an ihr vorübersausten, so leichtfiel, erwies sich für Emily als ungeheuer schwierig: Ihre Füße in den mit Kufen versehenen Stiefeln führten auf dem Eis ein Eigenleben, drifteten fortwährend in verschiedene Richtungen oder stießen wie starke Magnete an den Spitzen zusammen und bremsten sie aus. Mehr als ein paar kurze, wackelige Vorwärtsruckler schaffte sie nie, so verbissen sie auch übte, in diesem Winter und denen, die noch folgen sollten. Als sei ihr Leib von Geburt an zwar dazu geschaffen, waghalsig auf dem Rücken eines Pferdes zu reiten, zu jagen und im Meer zu schwimmen, aber nicht dazu,

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