Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
Schluchzen war in einen Schluckauf übergegangen, der sie daran hinderte, weitere Widerworte zu geben, und so fuhr Djilfidan fort: »Mir fällt es auch nicht leicht, von hier fortzugehen. Hier in Mtoni habe ich die meiste Zeit meines Lebens verbracht, es ist das einzige Zuhause, das ich kenne.«
Salima löste hicksend die Hände von ihrem glühenden Gesicht und sah ihre Mutter an. Sie erkannte in deren Augen, die ihren eigenen so sehr glichen, denselben Kummer. Als fühlte sich Djilfidan dabei ertappt, legte sie den Kopf des Kindes in ihre Halsbeuge und wiegte ihre Tochter in den Armen.
»Du weißt doch, dass ich Sara vor vielen Jahrengeschworen habe, ich würde, wenn sie sterben sollte, für Majid und Khaduj sorgen, als wären sie meine eigenen Kinder. So wie sie geschworen hat, es bei dir zu tun, sollte ich diejenige sein, die früher abberufen wird. Nun lebt Sara schon zwei Jahre nicht mehr, und ich konnte so wenig tun für Majid, seit er in Beit il Sahil weilt. Es ist an der Zeit, meinen Schwur in die Tat umzusetzen, ehe Majid eine eigene Familie gründet. Das verstehst du doch, nicht wahr?« Zögernd nickte Salima und schniefte leise. Die Mutter strich Salima über die tränennasse Wange, über den Ansatz ihrer Zöpfchen, so wohltuend, so tröstend.
»Zudem hat dein Vater, der Sultan, beschlossen, dass Majids Wunsch stattgegeben werden soll. Dem müssen wir uns fügen. So wie wir uns auch Allahs Willen fügen müssen, das habt ihr doch bestimmt in der Schule gelernt?« Als Salima wieder nickte, fuhr ihre Mutter fort: »Alles ist vorherbestimmt. Der Weg, den wir unter den Füßen haben, und jede Biegung, die dieser nehmen wird. Nie dürfen wir an dem zweifeln, was Allah für uns ausersehen hat, und nie dürfen wir damit hadern.« Ihre Hände schlossen sich um Salimas Gesicht, und sie sah ihr eindringlich in die Augen. »Versprich mir, dass du immer daran denken wirst, was auch geschieht.«
Salima spürte, wie wichtig es ihrer Mutter war, dass sie das verstand, aber sie spürte auch eine unbestimmte Furcht dabei, einen Anflug von Aufbegehren.
»Es wird dir gefallen in Beit il Watoro«, sagte Djilfidan dann in lockendem Tonfall. »Es ist ein prächtiger Palast, viel schöner als Mtoni! Und die Stadt erst! Weißt du noch, wie wir einmal in der Stadt waren? Du warst noch recht klein.«
Salimas Schultern hoben und senkten sich unschlüssig. Dunkel erinnerte sie sich an enge Gassen und viele Menschen; mehr war ihr nicht im Gedächtnis haften geblieben. »Und dort lernst du endlich deine anderen Geschwister kennen, sie freuen sich bestimmt schon sehr auf dich …«
Djilfidans fröhliches Geplauder verfehlte seine Wirkung nicht: Salimas Tränen trockneten schnell und wichen einer aufgeregten Vorfreude auf ihr neues Zuhause, auf die neuen Spielkameraden.
Bittersüß war der Abschied.
Zuckerig wie das Konfekt aus Datteln und Honig, aus Feigen, Zimt und Ingwer, aus Sirup und Blüten, aus Mandeln und Kokosnuss, das der Sultan seiner Tochter auf der bendjle darbieten ließ; köstlich wie das sherbet , das kalte Getränk aus dem gepressten Saft von Früchten, Rosenblüten und Gewürzen, das dazu gereicht wurde. Eine liebevolle Geste des Vaters, Salima den Umzug buchstäblich zu versüßen, aber auch ein überaus kluger Schachzug. Denn solange Salimas Schleckermäulchen beschäftigt war, war dem Monsunguss aus Fragen, mit dem sie den Sultan bestürmt hatte – WieweitistesbisnachWatoroundwiekommenwirdorthin? WievieleGeschwisterhabichinderStadtundgibt’sdortauchTiere? –, Einhalt geboten. Und Sultan Sayyid Sa’id war eine gewisse Spanne ungestörter Unterhaltung mit Djilfidan vergönnt.
Bitter und salzig war der Abschied, wie die Tränen der Frauen. Sie strömten reichlich in den letzten Tagen, als Scharen von sarari und Dienerinnen, von Freundinnen und Nachbarinnen in und um Mtoni zu den Gemächern Djilfidans gepilgert waren, um Bedauern und Kummer auszudrücken, um Lebewohl zu sagen, Glück zu wünschen und kleine Geschenke zu überreichen.
Und herrlich, so herrlich war es, zum letzten Mal Sayyida Azza bint Sayf, der obersten Herrin von Mtoni, die Aufwartung zu machen. Obschon klein von Gestalt, hielt die Erste Frau des Sultans sich stets so gerade, dass sie selbst im Sitzen auf einen herabzuschauen schien, wenn sie huldvoll die Ehrenbezeugungen entgegennahm, die jedermann ihr täglichschuldete. Das große Gefolge, mit dem sie sich auf Schritt und Tritt umgab, damit ihr, der gebürtigen Prinzessin aus dem Oman,
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