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Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Titel: Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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gewagt und probierte nun nach Wein und Champagner auch dieses alkoholische Getränk, das ihr jedoch in seiner beißenden Schärfe auf der Zunge so gar nicht mundete. Als Emily kurz nach Mitternacht im Garten stand, in den ihr so verhassten Mantel eingehüllt, Heinrichs Arm um ihre Schultern gelegt, und den Farbexplosionen am Himmel zusah, den Funkenfontänen, die die Dächer und Turmspitzen der Stadt in goldene und silberne, blaue, rote und grüne Schlieren aus Licht tauchten und die Alster mit verbrannt riechenden Rauchschwaden überzogen, war Emily sicher, dass das neue Jahr 1868 ein gutes werden würde.

    Wenn der Winter zunächst auch endlos schien. Sobald nach Dreikönig all der weihnachtliche Zierrat von Wänden,Schränken und Fenstern abgenommen und verstaut war, trat die Stadt dahinter umso nackter und trister hervor. Unter Schnee und Reifkrusten, mit Eisblumen an den Fenstern und funkelnden Zapfen an den Dachrinnen und Baumzweigen war Hamburg zwar hübsch anzusehen, aber unerträglich kalt; wurde es wärmer, fühlte Emily sich zwar einen Deut behaglicher, litt aber unter der grauen Trübseligkeit, die das Schmelzen der winterlichen Pracht hinterließ.
    An manchen Tagen glaubte sie, ihr würde nie wieder wirklich warm werden und nie würde der Winter ein Ende nehmen, nie würde die Natur aus ihrem Todesschlaf wiederauferstehen. Die ersten Schneeglöckchen im Garten, die Blüten zwar farblos, Stängel und Blätter jedoch in umso kräftigerem Grün, begrüßte Emily überschwänglich wie Freunde, die sie jahrelang nicht mehr gesehen und die sie schmerzlich vermisst hatte.
    Irgendwann bekam die Sonne wieder Farbe, gewann an Kraft, lockte und schmeichelte so lange, bis Bäume und Sträucher zögerlich ihren Saft aus den Wurzeln aufsteigen ließen und erstes schwaches Laub zeigten. Die Krokusse in Gelb und Violett leuchteten aus dem endlich wieder glänzenden Rasen, und schlagartig hielt der Frühling Einzug, überzog die Stadt großzügig mit Buntheit, sodass sie schimmerte wie ein pastellig eingefärbter Seidenstoff. Emilys Herz jubelte wie die Vögel in den Baumkronen, die die leichtere Jahreszeit priesen, während sie mit ihrem angeschwollenen Leib schwerfällig durch die Gegend watschelte.
    Im März erblickte Antonie Thawka Ruete das Licht der Welt. Gott hatte Emilys Bitten erhört und ihnen eine Tochter geschenkt. Tony, wie sie bald genannt wurde, war ein großes, ein kräftiges Kind mit einem runden, pausbäckigen Gesicht und dicken Speckfalten an Ärmchen und Beinchen, robust und leicht zufriedenzustellen. Ihre Amme konnte Stundendamit zubringen, mit einem weichen Bürstchen Tonys pechschwarzes seidiges Haar zu striegeln, das ihr bis weit über die Schläfen reichte. Mit Tony zog in das Haus endlich das Leben ein, das Emily sich ersehnt hatte. Und auch wenn Heinrich seine eigene Art gehabt hatte, um ihren gemeinsamen Sohn zu trauern, indem er seine Gefühle und Gedanken tief in sich verschloss, lebte er mit der Geburt seiner Tochter sichtlich auf.
    Nur manchmal, wenn ihr Blick auf die weißen Kleidchen fiel, die ihr Kind deutscher Sitte gemäß trug, wurde es Emily kalt ums Herz. Wie ein kleiner Geist , dachte sie dann und musste sich zwingen, keine Erinnerung an das Kind zuzulassen, das sie geboren hatte und das sie so früh begraben musste.

    »Ich bin zu Hause, Bibi!«
    Bei Heinrichs Ruf, dem Zuklappen der Eingangstür, das im Gebell und Gewinsel der beiden Hunde unterging, die den Herrn des Hauses stürmisch begrüßten, sprang Emily leichtfüßig die Treppen hinab. Auch ihren zweiten Sommer in Hamburg empfand sie als viel zu kühl, seine Farben als zu blass, wie ausgewaschen, aber es war die Jahreszeit, in der sie sich immer noch am wohlsten fühlte. Und sie fürchtete schon den nächsten Winter, dessen Kommen der September mit seinen Tönen von Kupfer und Messing bereits androhte. Doch noch waren die Tage hell und freundlich; zumal Emily seit ein paar Tagen die freudige Vermutung hegte, dass sie – ein knappes halbes Jahr nach Tonys Geburt – erneut guter Hoffnung war.
    Mit ausgebreiteten Armen stand Heinrich in der Halle und rief ihr entgegen: »Rate, was ich mitgebracht habe!«
    Emily legte den Kopf in den Nacken und lachte, als sie die letzte Stufe hinabhüpfte. Jeden Nachmittag das gleiche Spiel, und auch wenn sie sah, dass seine rechte Anzugtasche deutlichausgebeult war, hielt sie sich an die Regeln. Zuerst legte sie die Stirn grüblerisch in Falten, stützte das Kinn nachdenklich auf die Hand

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