Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
drei Wochen nach seiner Schwester zur Welt gekommen war. Er hatte sie damit gelockt, dass Kopenhagen am Wasser lag, dass das Meer – die Ostsee – ganz in der Nähe und dass Kopenhagen überhaupt eine sehr hübsche und sehenswerte Stadt sei.
Der Abschied von ihren Kindern war tränenreich ausgefallen und die Reise in zu dieser Jahreszeit, während der Schulferien, heillos überfüllten Eisenbahncoupés eine Tortur gewesen. Emily hatte sich bemüht, Gefallen an Kopenhagen zu finden, das durch seine Wasserläufe und Brücken eine gewisse Ähnlichkeit mit Hamburg besaß, aber kleiner und heimeliger wirkte. Doch weder das Museum, in dem sie Statuen und Büsten von der Hand des berühmten Bildhauers Bertel Thorvaldsen besichtigten, noch das königlicheJagdschlösschen von Klampenborg, in dem sie ein Konzert in Anwesenheit des Königs von Dänemark besuchten, vermochte sie zu berühren. Die Landschaft um das zu Emilys Enttäuschung turmlose Schloss, das kaum mehr war als eine schlichte Hamburger Villa, war ihr zu braun, zu karg, und von den Hirschen, die es dort geben sollte, bekam sie keinen einzigen zu Gesicht.
Vor allem setzte ihr die Trennung von Tony und Said zu. Sie fühlte sich, als hätte sie einen Arm und ein Bein zu Hause in Hamburg gelassen, und fragte sich ständig, was sie gerade machten, wie es ihnen ging und ob das Kindermädchen auch wirklich gut für sie sorgte. Bis Heinrich schließlich aufgab und sie zu Emilys großer Erleichterung bereits nach acht Tagen die Heimreise antraten, eine Woche früher als beabsichtigt. Mit einem Mitbringsel ganz besonderer Art im Gepäck. Denn in den Sommernächten Kopenhagens war ihr drittes Kind gezeugt worden, ihre Tochter Rosalie Ghuza, die nun knapp sechs Wochen alt war.
In Kopenhagen hatte Emily sich geschworen, ihre Kinder nie wieder allein zu lassen. Doch sie wollte auch nicht ohne Heinrich sein, nicht einen einzigen Tag. Seine scherzhafte Bemerkung in Kopenhagen, sie liebe ihre Kinder wohl mehr als ihn, hatte sie als ungerechten Vorwurf empfunden.
Wie sollte sie ihm begreiflich machen, dass Angst sie überfiel bei dem Gedanken, ihn so weit fort zu wissen? Dass sie in der beständigen Furcht lebte, ihm oder den Kindern könnte etwas zustoßen, waren sie nicht in ihrer Nähe? Tief in ihrem Innern wusste Emily zwar, dass ihre Ängstlichkeit übertrieben war. Und doch stellte sie ein allzu wirkliches Schreckgespenst dar.
»Geht es um Valparaíso?«, brach sie schließlich ihr Schweigen.
»Auch«, bestätigte Heinrich. »Aber nicht nur.«
Emily nickte. Der Name Valparaíso löste in ihr ein unbehagliches Gefühl aus. An der Pazifikküste Südamerikas gelegen, war die Stadt ein bedeutender Handelshafen, ein Schmelztiegel von Einheimischen – seit Generationen ansässigen Spaniern, Indios und den Nachkommen beider Völker – und von Einwanderern aus Frankreich, Deutschland, England und der Schweiz. Eine Stadt, von der es hieß, sie mache ihrem Namen »Paradiestal« alle Ehre.
»Ich weiß sehr wohl, dass Valparaíso nicht Sansibar ist«, fuhr Heinrich behutsam fort. »Doch dort hättest du es wärmer als hier, und die dortige Lebensart würde dir bestimmt ebenfalls besser liegen als unser steifes Hanseatentum.«
Emily nickte wieder, erwiderte Heinrichs Lächeln jedoch nicht. So recht er mit seinen Argumenten auch hatte, so gut seine Auswanderungspläne auch sein mochten – obwohl sie in Hamburg nicht so recht glücklich sein konnte, graute ihr bei dem Gedanken, hier alles zusammenzupacken und in einem fremden Land einen Neuanfang zu wagen. Noch einmal eine fremde Sprache zu erlernen, nachdem ihre wenigen von den Macías aufgeschnappten Kenntnisse des Spanischen längst eingerostet waren; sich noch einmal in einer fremden Gesellschaft, einer fremden Kultur zurechtzufinden. Noch einmal zu versuchen, in einem fremden Land heimisch zu werden.
»Ich gebe trotzdem nicht auf, uns nach Sansibar zurückzubringen«, sagte er in ihre Gedanken hinein. »Ich werde hartnäckig bleiben. Irgendwann werden sich all diese Mühen auszahlen.«
Emily versuchte ein Lächeln, doch es misslang.
Majid hatte sich aufgrund einer inständigen Bitte Heinrichs an den Hamburger Senat, übermittelt durch den neuen Konsul Theodor Schultz, überreden lassen, der Ankunft eines Herrn Rehhoff in Sansibar zuzustimmen, der als Heinrich Ruetes Agent dessen geschäftliche Interessen auf der Inselund im ostafrikanischen Raum wahrnehmen sollte, und er war sogar damit einverstanden gewesen, dass
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