Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
auf, als Heinrich sie sanft am Arm berührte und auf den Tisch vor ihnen wies, der sich unter der Last von Paketen förmlich zu biegen schien. »Da ist auch etwas für dich mit bei.«
Mit fragendem Blick streckte sie die Hand nach einer kleineren, länglichen Schachtel aus, die zuoberst lag, und als Heinrich bestätigend nickte, nestelte sie behutsam den Knoten des Schleifenbandes auf, schlug das Seidenpapier zurück und hob den Deckel. Es waren dick gefütterte Handschuhe, die sie wahrlich gut gebrauchen konnte in diesem kalten Winter. Nach und nach öffnete sie die für sie bestimmten Geschenke, bedankte sich bei Hermann und Johanna und den beiden Jungen, die einen Teil ihres Taschengeldes zusammengelegt hatten, um ihr Eintrittskarten für den Circus Renz zu schenken, der berühmt war für seine Pferdeschau.
»Hier ist noch etwas für dich«, warf Heinrich ein. »Mein Geschenk für dich – das sich leider als zu umfangreich erwies, als dass es sich hätte einpacken lassen. Fröhliche Weihnachten, Bibi!«
Emily besah sich das weiche Bündel, das er ihr zuschob, entfaltete es langsam und mit gerunzelter Stirn. Ein Mantel aus dickem Samt, durch und durch mit Pelz gefüttert und am Kragen, an den Säumen und an den Ärmeln mit einer breiten Pelzborte besetzt, die noch feiner und anschmiegsamer war als selbst der Samtstoff.
»Gefällt er dir?«
Emilys Miene spiegelte zuerst Ratlosigkeit wider, zeigte dann völlige Fassungslosigkeit. »Ausgerechnet du schenkst mir so etwas?«, sagte sie leise auf Suaheli zu ihrem Mann. Schnell ließ sie den Mantel los, als wäre er schmutzig. »Den kann ich doch unmöglich tragen! Etwas so – so Armseliges!«
Man trug keine Tierfelle auf Sansibar. Nur die wilden Völker im Inneren Afrikas kleideten sich in die Häute von Gazelle und Löwe, Leopard und Zebra; jene Menschen, die sich keine Stoffe zur Bedeckung ihrer Blöße leisten konnten, die nie die Kunst gelernt hatten, Fasern zu spinnen und Garn zu weben. Die sich damit begnügten, sich in das zu kleiden, was sie an Getier in der Savanne erlegen konnten.
»Bitte, Bibi«, gab Heinrich ebenso leise zurück. »Bei uns ist das etwas sehr Kostbares. Das ist Hermelin«, seine Finger streichelten über den Besatz, »der in Europa von alters her nur von Fürsten getragen wird.«
»Von Fürsten?« Emilys Augen wurden groß und rund. »Können die sich nichts Besseres leisten?«
Heinrich lachte. »Es gibt nicht viel Besseres als Hermelin. Er ist selten und entsprechend teuer. In früheren Zeiten durften sich allein Adelige damit kleiden.«
Emily kaute unglücklich auf ihrer Unterlippe. Heinrichs Ausführungen leuchteten ihr ein, und seine Absicht, ihr etwas Besonderes zu schenken, etwas, das in seinen Augen nicht nur wertvoll war, sondern das sie auch wärmen konnte, rührte sie an. Doch dies änderte nichts daran, dass ihr dieser Hermelin ungefähr so kostbar vorkam wie das Fell einer Katze oder eines Karnickels. So wie der Arzt ihr gegen ihren hartnäckigen Husten Austern empfohlen hatte, die hier als schick und als erlesene Speise galten, die auf Sansibar jedoch ein Essen für die Ärmsten der Armen waren. Europa erschien ihr mehr und mehr nicht nur wie eine fremde, sondern wie eine nachgeradeverkehrte Welt, in allem das genaue Gegenteil von jener Welt, aus der sie gekommen war.
Wird mir immer nur die Wahl bleiben, mich entweder zu verstellen oder Heinrich wehzutun, weil ich gänzlich anders denke und empfinde als die Menschen hier? So vieles, was ich nicht verstehe, so vieles, was ich noch lernen muss. Deutschland macht mich wieder zu einem Kinde, unwissend und dumm.
Die Enttäuschung, die in Heinrichs Augen aufflackerte, stach ihr ins Herz, und so rang sie sich schließlich mit aufgesetztem Lächeln ein »Danke« ab. Und sie war froh, als sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf die goldene Taschenuhr richtete, die mitsamt dazu passenden Berlocken aus Gold, Elfenbein und Tigerauge ihr Geschenk an Heinrich war. Als Ersatz für seine bisherige, vom Alter, von Sand und Meeressalz seiner weiten Reisen recht mitgenommene Uhr gedacht, hatte Emily sie mittels ihrer noch spärlichen deutschen Sprachkenntnisse auf reichlich abenteuerliche Weise bei einem Uhrmacher am Jungfernstieg erworben – eine Anekdote, die sie teils auf Englisch, teils mithilfe von Heinrich als Dolmetscher und mit lebhafter Pantomime der Familie erzählte, was für große Erheiterung sorgte. Heinrichs Freude über dieses Geschenk, ihr Stolz, den Kauf von Uhr und
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