Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
und machte »Hm«, während sie Heinrich eindringlich musterte.
»Es ist keine Ananas«, schloss sie, denn eine solche pflegte Heinrich mit beiden Händen hinter dem Rücken zu verbergen.
Heinrich grinste. Es war seine Idee gewesen, jeden Tag auf dem Rückweg von seiner Arbeit im Kontor einen Umweg über den Hafen zu machen und nach exotischen Früchten Ausschau zu halten, um seiner Frau den Geruch und den Geschmack ihrer Heimat mitzubringen: Ananas und Bananen; eine Mango, wenn diese Hamburg auch nie in der saftigen orangegoldenen Reife erreichten, wie Emily sie aus Sansibar kannte; noch frische gelbgrüne Feigen, die lieblicher schmeckten als die hiesigen Äpfel, ein bisschen wie der Geruch nach frisch gemähtem Gras, oder saftige Datteln.
Mit gespielt ernster Miene, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, schlenderte Emily gemächlich und mit pendelnden Röcken einmal um Heinrich herum.
»Hm«, machte sie erneut und blieb vor ihm stehen. »Sie gestatten?« Sie tastete das Jackett ab, Heinrichs vergnügten Blick unverwandt mit dem ihren festhaltend. Die Zungenspitze zwischen den Lippen, fasste sie schließlich in die rechte Tasche des Jacketts und zog eine nicht ganz runde, harte und glatte Kugel hervor.
»Ein Granatapfel!«, rief sie entzückt aus und roch an der roten Frucht, bemüht, so viel wie möglich von deren schwachem, blumigem Duft einzuatmen. Sie musste sich beherrschen, damit sie nicht sogleich die Zähne in die feste Schale schlug, um so schnell wie möglich an die saftig ummantelten Kerne zu gelangen, die so herrlich im Mund knusperten. Es war der erste Granatapfel, den sie seit Sansibar in den Händen hielt, und Tränen schossen ihr in die Augen, als sie an dieGranatapfelbäume an der Meeresseite von Beit il Sahil dachte. Wie die Blüten vor der hellen Palastmauer tiefrot loderten und wie die Meeresbrise über sie hinwegstrich, in einer Luft, die satt war von Sonne und Salz und vom Duft der Gewürznelken. In der der Ruf des Muezzins erschallte und für einen Augenblick in uferlosem, raumfüllendem Klang zum Stillstand kam, ehe er zitternd erstarb.
»Heimweh?«, fragte Heinrich behutsam und zog sie in seine Arme.
Emily konnte nur nicken; es weinte haltlos aus ihr heraus.
Heinrichs Bemühungen, ihre Rückkehr nach Sansibar voranzutreiben, waren zumindest teilweise von Erfolg gekrönt gewesen. Im April hatte er den Bürgereid der Freien und Hansestadt Hamburg geleistet, damit seine vollen Bürgerrechte zurückerlangt und vor allem den konsularischen Schutz, dessen er dringend bedurfte. Denn weder Sultan Majid noch der hanseatische Konsul Witt oder dessen britischer Amtskollege Churchill zeigten sich erbaut über Heinrich Ruetes Pläne.
Majids monatelanges Schweigen zur Flucht und zur Heirat seiner Schwester war mitnichten als Gleichgültigkeit oder gar als Nachsicht zu werten gewesen, wie Heinrich inzwischen wusste. Er war im Bilde über den regen Briefwechsel, der sich in der Folge ergeben hatte, nachdem die Firma Hansing, die ihn trotz des Skandals gerne wieder als Agent nach Sansibar geschickt hätte, vorsichtig bei Konsul Churchill anfragte, welches Wagnis Herr Ruete mit einer Reise nach Sansibar eingehe.
Die Antwort des britischen Konsuls war eindeutig ausgefallen: Für Heinrich Ruete hätte das Betreten sansibarischen Bodens Lebensgefahr bedeutet und in der Folge womöglich ebenso für andere Europäer, die sich auf Sansibar aufhielten. Heinrichs anfängliche Vergehen wogen durch Emilysnachfolgenden Übertritt zum Christentum noch schwerer als zuvor. In seiner Sorge sowohl um Heinrich Ruete als auch um die britischen Beziehungen zum Sultan wandte sich Churchill gar mit der Bitte an sein Außenministerium, unter allen Umständen Position für Majid zu beziehen und auch das Auswärtige Amt des im vergangenen Sommer neu gegründeten Norddeutschen Bundes auf den Fall Ruete aufmerksam zu machen. Der Bund, dem neben Hamburg und einer Handvoll Fürsten-, Herzog- und Großherzogtümern des Nordens die Hansestädte Lübeck und Bremen und die Königreiche Sachsen und Preußen angehörten, reagierte wie erwartet: Auf jede zulässige Weise sei darauf hinzuwirken, Heinrich Ruete von der Reise nach Sansibar abzuhalten, lautete der Kommentar. Ansonsten verlöre er den gerade erst erworbenen konsularischen Schutz Hamburgs wie auch den Schutz als Bürger des Norddeutschen Bundes.
Auch Konsul Witt, an den sich Majid heftig protestierend gewandt hatte, empfahl dem Hamburger Senat, Ruete dürfe auf
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