Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
hinterher. Der Diener blieb stehen und wandte sich um. »Was hat er gesagt?«
»Ich bitte Euch, Sayyida …« Der Diener wand sich wie ein Wurm. »Belasst es bei dieser Antwort.«
»Was hat er gesagt?!«
Ihr Gegenüber schien Höllenqualen zu leiden. »Der hochwohlgeborene Sultan Sayyid Barghash bin Sa’id wählte die Worte: Ich habe keine Schwester, sie ist vor vielen Jahren gestorben. «
Emily spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich.
»Hab dennoch Dank für deine Mühe«, entgegnete sie gepresst.
»Gehabt Euch wohl, Sayyida Salima. Allah sei mit Euch«, verabschiedete sich der Diener unter einer tiefen Verbeugung und entfernte sich hastig.
»Was ist, Mama?« – »Was hat er gesagt?« – »Du bist ja ganz blass, mein Kind! «
»Nichts«, kam es tonlos von Emily. »Nichts hat er gesagt. Nur, dass er uns nicht sehen will«, antwortete sie beiläufig und drehte sich auf dem Absatz um.
Als sie von innen an das Tor hämmerte, es sich öffnete und sie mit ihren Kindern über die Schwelle trat, hinaus in das gleißende Sonnenlicht, ließ Emily auch alle Hoffnung hinter sich, dass es eines Tages doch noch zu einer Versöhnung mit ihrem Bruder kommen würde.
Und so wie sie für ihn gestorben war, löste auch Emily an diesem Tag jegliche Familienbande zu ihm. Sayyid Barghash bin Sa’id war für sie von Stund an nur mehr der Sultan von Sansibar. Der in Prunk und Glanz lebte und ihr das Erbe vorenthielt, das ihr zustand und das er ihr über kurz oder lang würde auszahlen müssen.
Das war er ihr schuldig. Jetzt mehr denn je.
63
Wie versteinert stand Emily am Strand vor Mtoni. Oder vielmehr an der Stelle, an der sich der Lieblingspalast ihres Vaters, ihr Geburtshaus, einst befunden hatte. Und starrte auf das, was davon übrig geblieben war.
Während ihre Kinder, die sich sonst so sehr bemühten, sich zu benehmen wie Erwachsene, jauchzend durch den Sand hüpften und umeinander herumtollten, ging ihre Mutter mit gerafften Röcken langsam über den Strand, an dem sie als kleines Mädchen selbst unzählige Male herumgetobt hatte. Weg von dem Boot, das sie gegen ein kleines Entgelt von der Stadt hierhergebracht hatte.
Traurig schritt sie um die tief im Sand vergrabenen Stützpfeiler der bendjle herum, die nur noch eine gute Handbreit herausragten und die zerfasert und zersplittert waren, nachdem wohl Sturmwind und Flutwellen den Balkon zerschmettert und die Trümmer schließlich mit sich fortgetragen hatten. Denn so sehr Salima auch Ausschau hielt, sich bückte und mit den Fingern den Sand durchkämmte: Nirgendwo fand sie ein Stück Holz, das noch die farbenprächtige Bemalung aufwies, die sie als Kind so bewundert hatte. Sie warf einen Blick über die Schulter, hinaus aufs Meer.
Hier hat Vater immer gestanden und mit seinem Fernrohr nachAfrika hinübergeschaut. Hier war er immer zu finden, und hier haben wir als Kinder von ihm die französischen Bonbons bekommen, die ich über alles liebte.
Sie blinzelte die Tränen weg, die ihr hinter den Augäpfeln brannten, schüttelte den Schauder ab, der ihr über den Rücken lief, und ging weiter. Vorbei an dem Flügel des Hauses, den der alte Sultan einst für sich in Anspruch genommen hatte – eine leergefegte Ruine, die aus toten Augenhöhlen auf das Meer hinausglotzte. Emily wanderte um die Mauerreste herum, die aussahen wie ausgekratzt. Nichts befand sich darin, außer dem in sich zusammengebrochenen Wrack der Treppe, die sie immer im Laufschritt genommen hatte, bis sie außer Atem oben angelangt war.
Wie übermütige Füllen jagten ihre Kinder über den Hof von Mtoni, über die große Freifläche in der Mitte der Anlage, und ein kleines, wehmütiges Lächeln spielte um Emilys Mundwinkel.
Ganz genau wie Metle, Ralub und ich damals. Genauso wild und ungestüm wie wir, wenn wir vor Schelte und vor dem Rohrstock davonliefen.
Metle war im vergangenen Jahr gestorben, hatten die Briefe aus Sansibar vermeldet, und Ralub, der sein Leben lang immer genau das tat, was seine Schwester vorgemacht hatte, war ihr nur wenige Monate später gefolgt.
Ein unzertrennliches Dreigestirn. Von dem nur ich übrig geblieben bin.
Auf dem Hof gab es keine Tiere mehr – keine Gazellen, keine Enten oder Flamingos, keine angriffslustigen Strauße. Nur noch schwarz-weiß gefiederte Raben, die erst im letzten Augenblick vor den herantrampelnden Halbwüchsigen aufflogen, um sich dann doch wieder in der Nähe auf dem Boden niederzulassen. In dem stacheligen harten Gesträuch, das beinahe
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