Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
aufgebrochen, um ihre alte Heimat zu besuchen.
So schwer ihr der überstürzte, von der deutschen Regierung erzwungene Aufbruch von der Insel zweieinhalb Jahre zuvor auch gefallen war, hatte sie doch auf das Versprechen vertraut, das man ihr damals gegeben hatte: Man würde sich weiterhin bemühen, ihr zu ihrem Erbe zu verhelfen. Sultan Barghash hatte zwar schließlich doch eine kleine Summe vonfünfhundert englischen Pfund an Admiral Knorr überbringen lassen – ein Taschengeld , wie Emily seither oft dachte –, doch sie hatte sich geweigert, das Geld anzunehmen. Abspeisen ließ sie sich nicht; nicht, wenn Barghash, für alle Welt sichtbar, genug besaß, um ihr ihr rechtmäßiges Erbe auszuzahlen, und es hatte sie tief getroffen, nach ihrer Rückkehr nach Deutschland in den Zeitungen lesen zu müssen, sie sei als reiche Frau aus Sansibar zurückgekehrt.
Freundlicherweise hatte Kaiser Wilhelm I. ihr Geld aus der Staatskasse bewilligt, doch dieser Betrag würde selbst bei sparsamer Lebensweise nicht länger als zwei Jahre vorhalten. Dabei ging es ihnen finanziell derzeit gar nicht so schlecht. Das Buch, das Emily über ihre Kindheit und Jugend geschrieben hatte, verkaufte sich sehr gut. Memoiren einer arabischen Prinzessin hieß es, und es war aus den Notizen entstanden, die sie in Rudolstadt verfasst hatte, sowie aus ihren Aufzeichnungen, die sie auf der Rückreise von Sansibar niedergeschrieben hatte. Sogar ins Französische und Englische war es übersetzt worden. Mit seinen Schilderungen vom Leben in einer fremden, exotischen Welt, dem Bericht über Emilys Erlebnisse und Empfindungen während ihrer Reise nach Sansibar traf es den Nerv dieser Zeit, die bestimmt war vom Kolonialfieber.
Rosa, die wie Tony und Said stolz war auf ihre berühmte Mutter, fand es bedrückend, dass diese sich so wenig über den Erfolg zu freuen schien. Aber jetzt, mit achtzehn, glaubte Rosa zu verstehen, dass ihre Mutter von einer unbezwingbaren Angst getrieben wurde, der Angst, wovon sie morgen die Miete, ihre Kleidung und das Essen bezahlen sollte. Selbst wenn sie für einige Zeit genug Geld besaß, plagte sie die Sorge um das Morgen.
Und noch etwas glaubte Rosa, die Emily im Aussehen immer ähnlicher wurde, über ihre Mutter verstanden zu haben,und sie fragte sanft: »Es geht dir nicht um das Erbe allein, nicht wahr?«
Ohne den Blick vom Ufer abzuwenden, schüttelte Emily den Kopf.
»Nein. Ich will mich wieder aufgenommen wissen. Ich will wissen, wo ich hingehöre.«
Zu uns , lag es Rosa auf der Zunge. Aber sie hatte schon vor einiger Zeit begriffen, dass der Verlust der Heimat in der Seele eine Leere hinterließ, die auch die eigenen Kinder nicht zu füllen vermochten.
Emily schien sich mit den Gegebenheiten abgefunden zu haben und hatte ihr altes Leben in Berlin wieder aufgenommen, ohne sich anmerken zu lassen, wie sie sich fühlte. Bis im Frühjahr die Nachricht sie erreichte, dass Barghash gestorben war. An der Elephantiasis, hieß es. Manche sagten, an der Schwindsucht, just nach seiner Rückkehr von einer Reise in den Oman, beinahe wie einst sein Vater und durch eine seltsame Fügung des Schicksals im gleichen Monat wie der deutsche Kaiser Wilhelm I.
Sansibar hatte einen neuen Sultan: Emilys Bruder Khalifa, der von Barghash auf Druck der Familie zwar aus dem Verlies geholt, aber auf einer entlegenen Plantage unter Arrest gestellt worden war. Und Deutschland hatte einen neuen Kaiser, und sowohl das Deutsche Reich als auch Großbritannien waren durch neue Konsuln auf Sansibar vertreten. Für Emily Ruete waren die Karten neu gemischt worden.
Rosa sah ihrer Mutter an, wie bang ihr zumute war, auch wenn immer wieder sehnsüchtige Vorfreude in ihren Augen aufschimmerte. Denn dieses Mal reisten sie nicht nur ohne den Schutz der Kaiserlichen Marine, sondern ohne Billigung und gegen den Rat der deutschen Regierung. Ohne Said, der kurz vor dem Ende seiner Ausbildung in der Kadettenanstalt und vor dem Eintritt in die Armee stand und von obersterStelle keine Erlaubnis erhalten hatte, seine Mutter zu begleiten. Und ohne Tony, die es vorzog, in dieser Zeit bei ihrer Großmutter zu bleiben, die seit Hermanns Tod vor acht Jahren bei einem ihrer Söhne lebte und die sie ohnehin so selten sah. Sie runzelten zwar die Stirn und schüttelten den Kopf über die seltsamen Anwandlungen von Heinrichs Witwe, aber sie verloren nie ein böses Wort über sie. Ebenso wenig, wie Emily je schlecht über sie sprach.
»Wir schaffen das schon, Mama«,
Weitere Kostenlose Bücher