Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
Keine Spur davon, dass er an der Elephantiasis leiden sollte, wie man hörte, jener durch Parasiten hervorgerufenen Krankheit, die zu einer fortwährenden Entzündung führt und in deren Verlauf manche Körperteile groteske Formen und Ausmaße annehmen. Auch von der Schwindsucht, die ihn befallen haben sollte, war nichts zu bemerken.
Jeden Abend, wenn Emily dort unten stand, war sie überzeugt, Barghash müsste sie bemerken, so deutlich, wie sie sich von der sansibarischen Menge abhob in ihrem europäischen schwarzen Trauerkleid, begleitet von ihren Kindern und einem der Offiziere in Uniform, der dafür sorgte, dass ihnen im Gedränge niemand zu nah kam. Manchmal glaubte sie tatsächlich, er blicke geradewegs in ihre Richtung. Sie wusste, dass man sie von den Fenstern des Palastes aus erkennen konnte. Wann immer sie an Beit il Hukm vorbeikam, waren die Fenstersimse des Frauenpalastes voll schwarz verhüllter Gestalten, die ihr mit Gesten einen Gruß entboten.
Und ihr entgingen nicht die ausdruckslos dreinblickenden Inder, die sich auf den Straßen unter die Sansibaris mischten und jede ihrer Bewegungen mit scharfen Blicken überwachten.Sehnsüchtig hoffte Emily auf ein Zeichen ihres Bruders. Auf eine Regung in seinen Zügen. Auf eine Geste. Vielleicht auf eine Nachricht. Schließlich waren sie doch Bruder und Schwester, vom selben Manne gezeugt, wenn auch von unterschiedlichen Müttern geboren; zwei Geschwister von einstmals so vielen, von denen nur noch so wenige am Leben waren.
Doch nichts dergleichen geschah. Dafür wurde Emily jeden Abend von einem Pulk von Sansibaris begleitet, die davon überzeugt waren, ihre Bibi Salmé besteige jetzt wieder den deutschen Dampfer, um in ihre neue Heimat zurückzukehren, und die es sich nicht nehmen lassen wollten, sich von ihr zu verabschieden.
»Kwa heri, Bibi! Kwa heri« , riefen sie ihr zu. »Auf Wiedersehen, Bibi, auf Wiedersehen!« So laut, dass es gewiss bis in die Gemächer des Sultans hinaufdrang. Besonders übermütige Jungen sprangen links und rechts von dem Boot ins Wasser, das Emily und ihre Kinder zur Adler hinüberbrachte, schwammen den ganzen Weg bis zum Dampfer nebenher, lachten und prusteten zwischen ihren Rufen: »Kwa heri! Kwa heri!«
Kwa heri – zwei Worte, die in ihrem wehmütigen Tonfall Emily ins Herz schnitten, jeden Abend aufs Neue. Und jeden Abend war es, als müsse sie Sansibar erneut endgültig verlassen. Ungeachtet dessen, dass ihr versichert worden war, sie dürfe noch mindestens einige Tage bleiben.
Doch nicht allein deshalb beschloss Emily, sich an Land einzuquartieren, eine nach reiflichem Nachdenken getroffene Entscheidung, über die sie Admiral Knorr gegen Ende des Monats in Kenntnis setzte.
»Ausgeschlossen, Frau Ruete! Das kommt nicht infrage!« Es war das erste Mal, dass Emily den Admiral derart aufgebracht erlebte.
»Ich danke Ihnen und der Besatzung der Adler sehr für IhreGastfreundschaft«, erwiderte Emily ungerührt. »Sie haben allesamt Ihr Möglichstes getan, um uns den Aufenthalt an Bord so angenehm zu gestalten, wie die Umstände es zuließen. Aber Sie werden zweifellos verstehen, dass meine Kinder und ich uns nach all den langen Wochen in schaukelnden Kojen nach einem richtigen Bett sehnen. Das französische Hotel, das wir uns ausgesucht haben, erscheint uns äußerst komfortabel.«
»Dem mag wohl so sein, Frau Ruete«, gab der Admiral zurück. »Aber Sie scheinen nicht zu verstehen, dass Sie sich nicht als gewöhnliche Reisende hier auf Sansibar aufhalten. Der britische Konsul Kirk ist sehr ungehalten über Ihre Spaziergänge in der Stadt und über Ihre allabendliche Gegenwart bei der Darbietung der Nationalhymne.« Tatsächlich hatte Emilys Enttarnung die Telegraphenleitung zwischen London, wo man sich über diesen Schachzug Bismarcks empörte, und Berlin, das zu beschwichtigen suchte, zum Glühen gebracht.
»Er befürchtet, der Sultan wird sehr bald ungehalten sein über Ihre derart sichtbare Anwesenheit auf der Insel und das dann sowohl die Engländer als auch die Deutschen vor Ort spüren lassen. Wenn es nach Kirk ginge, hätten Sie die Insel schon längst wieder verlassen, und der deutsche Konsul teilt diese Auffassung durchaus.«
»Ich kann jetzt nicht gehen«, rief Emily aus, von der plötzlichen Angst gepackt, gegen ihren Willen und vorzeitig weggeschickt zu werden. »Nicht mit leeren Händen! Nicht jetzt, da Sie mit Ihren Schiffen hier sind. Eine bessere Möglichkeit, meine Ansprüche bei meinem Bruder
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