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Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Titel: Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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nahm. Verloren fühlte sie sich, überflüssig und fehl am Platz. Schließlich fand sie Zuflucht in einer Wandnische, wo sie sich unter dem tiefsten Bord, das mit Silber und Porzellan vollgestellt war, verkroch, die Knie angezogen und den Kopf in den verschränkten Armen vergraben. Ein Gefühl der Leere überkam sie, wurde mit jedem Herzschlag mächtiger. Ein Gefühl, dem sie erst viele Jahre später einen Namen würde geben können.
    Einsamkeit.
4
    Die Nacht hatte sich über Beit il Watoro gesenkt und den geräuschvollen Atem der Stadt zu einem Flüstern gedämpft. Blasser Sternenschimmer ergoss sich vom Himmel, und durch das Fenster sah Djilfidan die von silbernem Glanz überzogenen Silhouetten des Minaretts und der Moscheenkuppel. Über einen Stuhl stieg sie in das breite Doppelbett aus geschnitztem hellroten Holz, das, obwohl alt, noch immer seinen trockenen rosenähnlichen Duft verströmte. Behutsam ließ sie die Tüllbahn wieder hinter sich zurückgleiten und streckte sich neben ihrer Tochter aus.
    Das Beste, was das Leben ihr geschenkt hatte.
    Salimas kleine Hände umklammerten fest ein Schiffchen aus Holz. Eines der Schiffchen, die sie heute unbedingt hatte schwimmen lassen wollen. Doch zu ihrem Verdruss gab es in Watoro keine geeigneten Wasserbecken dafür und auch keinen Flusslauf wie den Mtoni. Djilfidans gut gemeinter Vorschlag, die Schiffchen doch an Metle, Ralub und die anderen Kinder in Mtoni zu verschenken, hatten lautstarken Protest und eine Tränenflut heraufbeschworen, die erst verebbte, als das Kind einschlief. Salimas Unglücklichsein offenbarte sich in Tränen, von denen sie derzeit so viele vergoss – sie, die sonst so selten weinte, nicht einmal, wenn sie hinfiel und sich die Knie aufschlug.
    Das dottergelbe Licht der Öllampen beleuchtete das Kindergesicht. Djilfidans Finger strichen ihrer Tochter sanft über die Stirn. Selbst jetzt noch, im Schlaf, waren die Brauenbögen finster zusammengezogen, und die Kerben um die Mundwinkel, die sich sonst zu einem solch zauberhaften Lächeln vertiefen konnten, waren zusammengekniffen.
    Fleisch von ihrem Fleisch; ein Leib, der in ihrem Leib entstanden und geformt worden war. Ein verkleinertes Abbild ihrer selbst; dennoch ein eigenständiges Wesen. So wenig, was der Sultan dazu beigetragen hatte, und doch hatte er seinen Abdruck darauf hinterlassen – in der Schlankheit der Glieder, in der lang gezogenen Schnecke der Ohrmuscheln; im sanften Schnitt der Augen und in der Unausgewogenheit der Lippen: oben fein und schmal, unten von sinnlicher Fülle und sich oft in energischer Bestimmtheit vorschiebend.
    Mit diesem Antlitz, das rund und flach war wie der volle Mond, und mit der etwas zu langen, an der Spitze ein wenig plumpen Nase würde Salima nie eine vollendete Schönheit darstellen wie ihre Halbschwester Sharifa. Oder wie Chole, die von solch berückendem Äußeren war, dass »schön wie die Sayyida Chole« schon längst ein geflügeltes Wort auf Sansibar war und man sie oft einfach nur najm al-subh , »Stern des Morgens«, nannte. Doch Chole litt noch immer unter den Hänseleien, mit denen man sie bedachte, seit sie sich einmal verbotenerweise unmaskiert an einem Fenster Beit il Sahils gezeigt hatte, um einem Wettkampf zu Ehren des Sultans beizuwohnen. Ein Krieger aus dem Oman hatte ihr verführerisches Antlitz erblickt und alles um sich herum vergessen, sodass er sich die Spitze seiner Lanze in den Fuß bohrte, ohne dass er dessen gewahr wurde, bis man ihn unter spöttischen Bemerkungen und Gelächter auf seine Verwundung aufmerksam machte.
    Der Sultan liebte schöne Frauen, und von allen seinenTöchtern waren ihm deshalb Sharifa und Chole am nächsten; sie bedachte er mit besonders kostbarem Geschmeide, betraute sie mit wichtigen Aufgaben und zog sie bei manchen seiner Entscheidungen zurate. Missgunst und Hass waren der Lohn für Sharifa und Chole der besonderen Stellung wegen, die sie innehatten; nichts, was Djilfidan, die stets nach Harmonie und allumfassender Liebe strebte, ihrer Tochter wünschte. Dieses Los würde Salima erspart bleiben; niemand würde sie je verächtlich »Katze« rufen, weil er ihr den sahneweißen Hautton neidete oder grüne, blaue oder graue Augen und einen blonden oder rötlichen Schopf. Und nie würde Salima sich weniger wert fühlen müssen für schwarze Haut und krauses Haar.
    »Allah sei Dank«, murmelte Djilfidan, »dass er mein Kind genau richtig geschaffen hat.«
    Allein Salimas Wesen gab ihr immer wieder Anlass zur

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