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Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Titel: Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Sorge. Von wem das Kind nur seinen Eigensinn hatte? Von ihr bestimmt nicht … Wild war es und unbeugsam; anstatt wie andere Mädchen ihres Alters brav Handarbeiten zu erlernen, sprang Salima schon nach kurzer Zeit wieder auf und lief davon, die Fäden der Klöppelarbeit oder der Stickerei schmutzig und heillos verheddert zurücklassend. Vorgestern war sie während eines Ausflugs auf eine der nahegelegenen Plantagen entwischt und ohne Sicherungsseil auf eine Palme geklettert. Hoch oben am Stamm festgeklammert wie ein Stummelaffe, hatte sie jedem, der vorüberging, einen Gruß zugerufen. Djilfidans Herz hatte für einen Moment ausgesetzt, als sie ihr Mädchen in schwindelerregender Höhe erblickt hatte, und sie hatte ihr allerlei Herrlichkeiten versprochen, wenn sie vorsichtig wieder herabstieg. Das Glück, Salima unversehrt in die Arme schließen zu können, war stärker gewesen als das Bedürfnis, sie zur Strafe zu züchtigen.
    »Vergib mir, dass ich so wenig für dich da sein kann«, flüsterte Djilfidan ihr zu. Die Kehle wurde ihr eng, als Salima sichim Schlaf regte, mit dem Kopf ruckte und die Stirn runzelte. Sie wusste um die Einsamkeit ihrer Tochter hier in Watoro; wusste, wie sehr sie darunter litt, hier keine Spielgefährten zu haben und obendrein eine Mutter, die von der Früh bis zum späten Abend beschäftigt war, mehr noch als in Mtoni. Majids Schwester Khaduj tat sich schwer, mit einem Mal Herrin über ein solch großes Haus zu sein, und benötigte dauernd Djilfidans Rat, Anleitung und Hilfe.
    »Glaub mir, ich weiß, was du fühlst, meine Kleine.«
    Es war die gleiche Einsamkeit, die Djilfidan einst erlebt hatte, in ihren ersten Tagen in Mtoni. Damals, als sie kaum älter gewesen war als Salima jetzt. An viel erinnerte sie sich nicht mehr – nur daran, dass sie in Mtoni ihren ersten Zahn verloren hatte. So wie Salima.
    Was davor gewesen war, war längst von den Gezeiten der Jahre ausgewaschen, tauchte nicht einmal mehr in Djilfidans Träumen auf. Hohe Berge und Schnee, breite Ströme und große Seen. Winter, die kalt waren, so kalt. Unheimliche dunkle Wälder, bunte Wildblumen und sonnenüberglänzte Wiesen in einem solchen Grün, wie es sich selbst auf Sansibar nirgendwo fand. Erinnerungen, die kaum mehr als der Atemhauch eines Gefühls waren. Mutter, Vater. Bruder, Schwester. Gesichter verblasst, Stimmen verweht.
    Es hatte Krieg geherrscht, und marodierende Banden waren durch das Land gezogen. Der Vater, der sie auf dem Gehöft in Sicherheit brachte, in einem Raum unter der Erde – das tscherkessische Wort dafür hatte Djilfidan längst vergessen, nie eines auf Arabisch oder Suaheli dafür gelernt, weil es solche Räume auf Sansibar nicht gab.
    Sie hatten sie trotzdem gefunden, hatten unter Stiefelgepolter und Gebrüll die Säbel geschwungen, bis Vater und Mutter am Boden lagen und sich nicht mehr regten. Die Kinder geraubt, zu Pferd durch die Wälder gesprengt. An der erstenBiegung verschwand ein Reiter mit dem Bruder, an der zweiten einer mit der kleinen Schwester, die unaufhörlich schrie, bis auch dies verklang.
    Ein weiter Weg zu Pferd. Eine große Stadt, größer als alles, was Djilfidan bis dahin gesehen hatte. Gutes Essen, ein Bad, schöne Kleider und viele andere Mädchen und junge Frauen. Männer, die bei Kaffee und Tee, sherbet und Konfekt saßen, und einer, der sie mitnahm über das Meer.
    »Mein Herz. Mein Augenstern«, wisperte Djilfidan, als das Schiffchen endlich aus Salimas Fingern glitt und sie sich herüberrollte, in den Arm ihrer Mutter hinein, und den Kopf an ihrem Busen vergrub.
    Und dann: Mtoni. Fremde Menschen, fremde Sprachen. Aber bald gab es Sara, die nicht nur ihre Muttersprache teilte, sondern auch das gleiche Schicksal. Und Zayana, eine Tochter des Sultans, die Djilfidan Arabisch lehrte und Suaheli und mit der sie zur Schule ging.
    Auch die Tage von Salimas Einsamkeit waren gezählt. Nur für Watoro und Salima allein würde keine Lehrerin aus dem Oman anreisen. Nach dem Willen des Sultans sollte Salima künftig jeden Tag nach Beit il Sahil zum Unterricht gebracht und abends wieder abgeholt werden. Noch nie waren Mutter und Tochter so viele Stunden lang getrennt gewesen, und Djilfidans Herz wurde schwer.
    Was sollte aus Salima werden unter lauter lärmenden Knaben? Außerdem konnte Salima doch bereits flüssig lesen, gut ein Drittel der Heiligen Schrift des Koran frei rezitieren – wozu noch mehr lernen? Zu viel Wissen konnte nicht gut sein für ein Mädchen; nicht

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