Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
erkennen, die noch vom letzten Fest übrig geblieben waren.
Salima war stets aufs Neue gleichermaßen abgestoßen wie gebannt von der Mischung aus Gestank und Wohlgerüchen, aus leuchtender Schönheit und schmutziger Hässlichkeit. Eigentlich hätte sie gar nicht hier sein dürfen, und sie war froh um die Gesichtsmaske, die sie zusammen mit ihrer Kleidung und dem Schmuck zwar als Tochter aus gutem Hause auswies, nicht jedoch zwingend als eine Tochter des Sultans. Es geziemte sich nicht für Sayyidas in Salimas Alter und für Frauen edler Abkunft, das Haus zu verlassen, außer um einer Einladung zum Tee nachzukommen, erkrankten Freunden und Verwandten einen Besuch abzustatten oder eine wichtige Angelegenheit bei Gericht vorzutragen. Es war nicht grundsätzlich verboten, es gehörte sich einfach nicht, und wer auf sich hielt, pflegte vornehmen Müßiggang innerhalb des Hauses und ließ so viel wie möglich durch Sklaven erledigen und besorgen. Doch seit der Sultan in den Oman gereist war, wurde manches nicht mehr so streng gehandhabt. Hatte anfangs, dem Brauch entsprechend, Khalid, von allen noch lebenden Söhnen auf Sansibar der älteste, die Zügel desInselreiches in seine Hände genommen und straff angezogen, war er nur zu bald seinem quälenden Husten erlegen. Nicht allzu überraschend, hatte ihn dieser doch in den letzten Jahren zunehmend ausgezehrt. Majid, der ihm nachgefolgt war, war ein sanftmütiger Stellvertreter, der vor allem seiner Lieblingsschwester Salima keine Steine in den Weg legte. Und Chole, der die Aufsicht über die Frauen in den Häusern übertragen worden war, war überfordert mit der Fülle der damit verbundenen Aufgaben – vor allem der Schlichtung nicht enden wollender Eifersüchteleien und Zänkereien.
»Was der Vater uns wohl alles aus dem Oman mitbringt?«, ließ sich Hamdan hinter ihr vernehmen. »Hoffentlich hat er an das verzierte Gewehr gedacht, das ich mir gewünscht habe.«
»Gewiss hat er das«, erwiderte Salima.
Gestern hatte sich die Nachricht aus dem Hafen wie ein Lauffeuer in den Häusern der Sultansfamilie verbreitet: Des Sultans Hauptschiff, die Kitorie , nach Königin Victoria von England benannt, war in See gestochen und würde Sayyid Sa’id nach Sansibar zurückbringen.
Drei Jahre war der Sultan fort gewesen. Während dieser Zeit waren die Begleitschiffe der Kitorie regelmäßig zwischen dem Oman und Sansibar hin und her gependelt, hatten nicht nur Kuriere an Bord gehabt, die Botschaften des Sultans bei sich trugen und für ihn bestimmte wieder mitnahmen, sondern auch allerlei Schönes für die Frauen und Kinder. Die besten Geschenke jedoch hob sich der Sultan immer für die eigene Rückkehr nach Sansibar auf, um sie selbst zu überreichen.
Alle drei bis vier Jahre reiste der Vater in den Oman, um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass Thuwaini als sein Vertreter in seinem Sinne und zum Wohle des Sultanats handelte. Doch diese Reise Sayyid Sa’ids hatte noch andere Gründe gehabt. Die Perser waren einmal mehr in dasReich des Sultans eingefallen, in der Nähe des reichen Hafens von Bandar Abbas, einer omanischen Exklave am Rande Persiens, jenseits der Straße von Hormus. Unbedeutende Scharmützel, doch dem Sultan lag viel daran, die Wogen zu glätten, ließ sich doch von Bandar aus die Durchfahrt in den Persischen Golf überwachen. Und noch eine Angelegenheit musste im Oman in Angriff genommen werden: für Salima einen passenden Gemahl zu finden. Ein Unterfangen, das der Sultan zusammen mit Barghash, der ihn begleitete, in diesen drei Jahren zu seiner vollsten Zufriedenheit hatte abschließen können. Ein Vetter zweiten Grades, »dreiundzwanzig Jahre alt, von edlem Blut und noblem Charakter, ansprechendem Äußeren, einnehmendem Wesen und wohlhabend«, wie Sayyid Sa’id hatte übermitteln lassen. Sobald der Vater wieder die Amtsgeschäfte auf Sansibar in die eigenen Hände genommen hätte, würde mit den Vorbereitungen begonnen werden, Salima in den Oman zu bringen und dort zu vermählen.
Unwillkürlich packte Salima die Zügel fester und biss die Zähne zusammen, um die Wehmut zu unterdrücken, dass ihre unbeschwerten Kindertage nun gezählt waren. Noch schlimmer: ihre Tage auf Sansibar. Und Furcht erfüllte sie. Nicht so sehr vor dem unbekannten zukünftigen Gemahl, sondern vor ihrer gestrengen Verwandtschaft im Oman. Der Wind, der im Sultanat auf der anderen Seite des Meeres für Salima wehte, würde ein harscher sein.
Je weiter Salima und Hamdan
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