Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
machte und aufatmen ließ, sobald sie das Ende der Lehmstadt erreicht hatten.
Ein schmaler Meeresarm – bei Ebbe fast trocken genug, dass man hinüberlaufen konnte, bei Flut eine stille Lagune bräunlichen Wassers – trennte die Insel von einem Brocken aus Korallengestein, auf dem sich die eigentliche Stadt von Sansibar auftürmte. Ein natürlicher Damm aus dem Gestein der Insel führte durch die Furt, bot einen leidlich bequemen Übergang, auf dem Salima und Hamdan hinüberritten und in die Steinstadt von Sansibar eintauchten.
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Geformt wie eine breite, stumpfe Speerspitze, die auf ihrem Flug gen Westen, nach Afrika, im Meer gelandet war, schlug auf diesem vorgelagerten Inselchen das Herz Sansibars. Ein Herz, das rasch und kräftig pumpte, Schiffe, Waren und Menschen hinein und wieder hinaus, und so den Kreislauf des Handels in Gang hielt.
Auf ihren Streifzügen – früher an Majids Seite, später mit ihren Halbbrüdern Jamshid oder Hamdan – hatte Salima viel von der Stadt gesehen. Angefangen im Norden, im Stadtteil von Malindi, der von einem Ableger der Lehmstadt gesäumt wurde. Hier lebten die Inder: Hindus aus Bengalen, Muslime aus Bombay und Kutch. Salima konnte sich nicht sattsehen an den Hausfassaden aus durchbrochenem Stein, fein und kunstvoll wie Klöppelspitze; an den Farben der Wände, die selbst dann noch berückend waren in ihrer Kraft, wenn sie von Sonne und Monsun ausgewaschen und in der Hitze abgeblättert waren: rubinrot, perlmuttrosa und currygelb wie die kurzen Sonnenuntergänge; türkis und lichtblau wie das Wasser, das Sansibar umgab. Einen richtigen indischen Basar gab es hier, auf dem mannigfach gehämmerter Silberschmuck angeboten wurde, ziselierte Dolche und grellfarbige Stoffballen, und unweit davon, auf dem suq , dem Markt, hatten die Schlachter ihre Stände. Die Grabstätten der Hindus befandensich am entgegengesetzten Ende des Inselchens, im Süden, im Viertel von Mmazi Mmoja, ebenfalls in enger Nachbarschaft zu Lehmhütten, die sich ein Stück weit die Lagune hinauf zu einem schmutzstarrenden Knäuel aus fauligen Dächern, bröckelnden Wänden, Unrat und Ruinen verdichteten.
In der Nähe der bei Flut schiffbaren Lagune war der Sklavenmarkt mit den dazugehörigen Unterkünften für die zukünftigen Arbeitskräfte angesiedelt. Dort ging es inzwischen weitaus weniger betriebsam zu, seit Sultan Sayyid Sa’id auf Druck der Engländer nur noch in einem eingegrenzten Bereich seiner afrikanischen Besitzungen den Handel erlauben durfte und nicht mehr nach der Arabischen Halbinsel und ins Osmanische Reich, in den Indischen Ozean, nach Westindien und Südamerika. Und obwohl die Engländer die Küsten streng überwachten, blühten der Schmuggel und das Geschäft unter der Hand.
Die Gassen, die sich zwischen den hohen Häusern hindurchwanden, hielten die Hitze und die der Steinstadt eigenen Gerüche fest wie ein Schwamm. Die gärende Süße verfaulender Früchte, von der See tüchtig gesalzen, die allgegenwärtige erstickende Decke der Spezereien. Unbestimmbarer Gestank, der von schwarz schillernden oder grünlichen Lachen aufstieg; scharfe und schwere Ausdünstungen von Menschen, von Tieren: von bläkenden Ziegen, Eseln, den allgegenwärtigen Ratten und ihren Widersachern, den maunzenden Katzen; von kreischenden Hühnern und gurrenden Tauben in Käfigen aus Rohr und gleichmütig vor sich hin trottenden Kühen. Herrenlose, halb verhungerte Hunde, das räudige Fell voller Flöhe, geiferten nach Abfall oder prügelten sich unter Gekläff und Geknurr um die verwesenden Überreste eines Kätzchens. Auch die Häuser verströmten ihren ganz eigenen Geruch, modrig und sauer, nach feuchtem Putz, nach graugrünem Algenbewuchs. Von Feuchtigkeit aufgequollen waren dieschweren Türen, über und über mit Schnitzereien verziert, mit Ornamenten oder mit Versen aus der Heiligen Schrift, dem Koran, und mit Mustern aus unzähligen Messingnägeln. Hier, im Zentrum, befand sich der Suq Muhogo, auf dem Fisch und Dung feilgeboten wurden, die ihren Teil zu dem Geruchsteppich der Stadt beitrugen; aber auch Brotfladen, ungeschälter Reis und Getreide, Baumwollstoffe und durch Wässern oder Raspeln, Auspressen und Rösten genießbar gemachter Maniok. Bettler mit leeren Augenhöhlen oder verstümmelten Gliedmaßen kauerten an den Ecken. Wenn sich eine Frau, die die Gasse hinabging, anmutig ihre schele tiefer ins maskierte Gesicht zog, konnte man auf ihrer Hand zuweilen die zarten rotbraunen Muster aus Henna
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